Frostfluch: Mythos Academy 2 (German Edition)
wohl politisch korrekt sein wollte oder so was, aber in Wirklichkeit waren es Monster. Alles mit Reißzähnen, die länger waren als meine Finger, und Feueratem war definitiv ein Monster.
»Und auf der nächsten Seite sehen wir eine der interessanteren Kreaturen – den Fenriswolf«, sagte Metis.
Papier raschelte, als alle zur nächsten Seite blätterten, die von einer Tuschezeichnung des gewaltigsten Wolfs geziert wurde, den ich je gesehen hatte. Alles an ihm war einfach groß – große Augen, große Pfoten, langer Schwanz und natürlich große, große Zähne und Klauen. Um mich besser fressen zu können. Denn was für ein Monster wäre es schon, wenn es einen nicht in Stücke reißen und die Knochen zerbeißen könnte?
»Diese Wölfe sind die Nachkommen von Fenrir, dem allerersten und mächtigsten Wolf, der an der Seite des Pantheons im Chaoskrieg gekämpft hat«, sagte Metis. »Über die Jahre ist es den Schnittern gelungen, die meisten der Wölfe einzufangen, aber ein paar von ihnen findet man auch heute noch in der Wildnis, unter anderem direkt hier in den Bergen von North Carolina.«
Für einen Moment bewegte sich die Zeichnung auf der Seite, und der Tuschewolf drehte den Kopf, bis er mich direkt anstarrte. Die schwarze Tusche schien erst nach unten, dann wieder nach oben zu fließen. Mir ging auf, dass das Monster lächelte – und dabei jeden einzelnen seiner nadelscharfen Zähne zeigte.
Mir lief ein Schauder über den Rücken, und ich wandte den Blick ab. Manchmal spielte meine Gypsygabe ein wenig verrückt und zeigte mir etwas, das gar nicht wirklich da war, auch wenn ich gerade keinen Gegenstand berührte. Oder vielleicht arbeitete meine Einbildungskraft heute einfach nur auf Hochtouren. Auf jeden Fall musste ich mich beherrschen, um das Buch nicht zuzuschlagen und quer durch den Raum zu werfen.
»Was ihr unbedingt verstehen müsst, ist die Tatsache, dass diese Kreaturen nicht von Natur aus böse sind.« Metis’ sanfte, grüne Augen wanderten von einem Schüler zum anderen. »Die Schnitter haben sie über die Jahrhunderte verdreht, sie eingesperrt und gefoltert, bis sie sie in etwas vollkommen anderes verwandelt hatten.«
»Selbst die Nemeischen Pirscher?«, fragte Carson vor mir.
»Selbst die Pirscher«, gab Metis zurück. »Macht euch also immer bewusst, dass die Schnitter diese Kreaturen zwar aufs Töten trainiert haben, doch letztendlich haben sie immer noch einen freien Willen, so wie wir alle. Es gab seltene Fälle, in denen sich Pirscher, Wölfe und andere Kreaturen gegen die Schnitter gewandt haben. Letztendlich hängt es von den Kreaturen selbst ab, wem sie gehorchen und wie sie handeln. Selbst die Götter können eine Person oder eine Kreatur zu nichts zwingen. Wir alle besitzen einen freien Willen – wir entscheiden selbst, welche Art von Mensch wir sein und was wir mit unserem Leben anfangen wollen.«
Freier Wille? Was auch immer. Der grinsende Fenriswolf in meinem Geschichtsbuch erschien mir ziemlich böse, genau wie alle anderen Monster. Mir war egal, ob sie einen freien Willen hatten oder nicht.
Metis bat uns erneut, umzublättern, und sprach über den nächsten mythologischen Albtraum. Monster mochten nicht mein Lieblingsthema sein, aber ich lauschte jedem einzelnen Wort der Professorin und machte tonnenweise Notizen. Als ich neu auf die Akademie gekommen war, hatte ich Mythengeschichte gehasst, aber jetzt war es mein Lieblingsfach. Zu Beginn des Schuljahres hatte ich noch geglaubt, keinerlei Verbindung zu den Kriegerkindern hier zu haben. Aber inzwischen wusste ich, dass das nicht stimmte – und dass ich so sein wollte wie sie.
Vielleicht lag es daran, dass meine Mom Polizistin gewesen war und ihr Leben damit verbracht hatte, Leuten zu helfen. Vielleicht hatte es auch etwas damit zu tun, dass sie und Grandma Frost schon vor mir Nikes Champions gewesen waren. Oder vielleicht war es alles, was ich gehört und gesehen hatte, seit ich auf Mythos ging. Aber ich wollte eine echte Kriegerin werden, so wie die anderen Schüler. Ich wollte genauso wild, stark und tapfer sein wie sie, wie meine Mom und meine Grandma es gewesen waren. Ich wollte die Welt und alle darin vor Schnittern und Loki und Monstern schützen.
Ich wollte mit meiner Gypsygabe Großes erreichen, selbst wenn ich noch nicht genau wusste, wie diese Großen Taten aussehen würden – und wie ich sie überhaupt bewältigen sollte.
Die Stunde verging wie im Flug, und es kam mir so vor, als hätte Metis nur ein paar
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