Frostfluch: Mythos Academy 2 (German Edition)
»Ich frage mich, ob das auch mit anderen Dingen funktioniert.«
»Hä?«
Sie deutete auf ihre prall gefüllte Tasche. »Ich habe einiges über die verschiedenen magischen Theorien und Mächte gelesen, weil ich ja immer noch darauf warte, dass meine eigene Magie erwacht. Es gibt jede Menge Geschichten über Leute, die sich die Mächte anderer zunutze machen. Die meisten von ihnen haben irgendeine Art von Mentalmagie, so wie du. Telepathie oder sonst irgendetwas, das ihnen Einblick in den Geist anderer gewährt. Wenn du also die Erinnerungen an meine Bogenturniere aufrufen kannst, wer sagt, dass es mit anderen Sachen nicht auch geht? Oder sogar mit anderen Leuten?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Ich habe meine Magie noch nie so gesehen. Normalerweise berühre ich Gegenstände und habe Visionen. Ich stelle nichts mit den Erinnerungen an , die ich sehe.«
»Na ja, vielleicht solltest du es mal versuchen, um herauszufinden, ob es funktioniert«, meinte Daphne. »Aber auf jeden Fall solltest du anfangen, deine Tasche für den Winterkarneval zu packen. Ich lasse dich nämlich nicht allein, nicht wenn hier ein Schnitter lauert. Du fährst mit zum Karneval, und wenn ich dich persönlich schreiend und um dich schlagend in den Bus zerren muss.«
Auf Daphnes Gesicht erschien ein entschlossener Ausdruck, und noch mehr pinkfarbene Funken tanzten um sie herum. Wir mochten ja erst seit ein paar Wochen befreundet sein, aber ich wusste genau, dass sie es ernst meinte. Und mit ihrer Walkürenstärke stellte es kein Problem für sie dar, mir so lange auf die Füße zu treten – wortwörtlich –, bis ich tat, was sie wollte.
»In Ordnung, in Ordnung«, grummelte ich wieder. »Ich rede morgen mit Metis, und ich fahre mit dir zu diesem dämlichen Winterkarneval. Erwarte nur nicht, dass es mir gefällt.«
Daphne grinste, dann stopfte sie sich einen weiteren Keks in den Mund.
Am nächsten Tag, Donnerstag, hielt ich mich an meinen üblichen Zeitplan. Früh am Morgen Waffentraining mit Logan, Kenzie und Oliver, dann im Speisesaal Frühstück mit Daphne, gefolgt von einem Tag voller Unterricht. Ich beäugte alle anderen Schüler und fragte mich, wer von ihnen in Wahrheit ein Schnitter war, aber niemand beachtete mich mehr als üblich. Was letztendlich bedeutete, dass mich niemand auch nur bemerkte. Ich gehörte nicht gerade zu den beliebten Leuten, und ich war sicherlich nicht hübsch genug, um den Jungs aufzufallen. Die meisten – wie Helena Paxton und ihre hochnäsigen Freundinnen von gestern Abend in der Bibliothek – sahen in mir nur Gwen Frost, dieses seltsame Gypsymädchen.
Schließlich kam die sechste Stunde, und ich schob mich auf meinen Platz für Professor Metis’ Unterricht in Mythengeschichte. Carson saß direkt vor mir, und er drehte sich um und unterhielt sich mit mir. Carson war Daphnes Freund, aber wir kamen auch gut miteinander aus, seit ich ihm dabei geholfen hatte, überhaupt mit ihr zusammenzukommen. Er war einfach ein netter, süßer Junge, ungefähr eins achtzig groß und schlaksig, mit braunem Haar und gebräunter Haut. Außerdem war er ein totaler Musikfreak und Tambourmajor in der Marschkapelle der Mythos Academy. Und das, obwohl er erst siebzehn war und im zweiten Jahr, genau wie ich. Carson war ein Kelte und hatte ein magisches Talent für Musik – ein bisschen wie ein Kriegsbarde. Ich hatte ihn allerdings nie darüber ausgefragt, welche Gabe er genau besaß oder was er damit anstellen konnte.
»Bist du schon aufgeregt wegen des Winterkarnevals?« Carson schob seine getönte Brille höher auf die Nase und musterte mich aus seinen dunkelbraunen Augen. »Das wird dein erster, richtig, Gwen?«
»Jaja«, murmelte ich. »Und ich bin schon killeraufgeregt deswegen.«
Carson runzelte die Stirn, weil er meine schlechte Laune mitbekam, aber bevor er noch etwas sagen konnte, erklang der Gong und verkündete den Anfang der Stunde. Ein paar Sekunden später trat Professor Metis ein und schloss die Tür hinter sich. Metis war griechischer Abstammung, wie so viele Schüler und Professoren auf Mythos. Sie war eine kleine Frau mit einem stämmigen Körper, bronzefarbener Haut und schwarzem Haar, das sie immer zu einem engen Knoten hochsteckte. Heute trug sie einen dicken Fischerpullover, der dasselbe Grün hatte wie ihre Augen hinter der silbernen Brille.
»Ich wünsche euch allen einen schönen Nachmittag. Bitte öffnet eure Bücher auf Seite zweihunderteinundfünfzig«, sagte Metis. »Heute
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