Frostfluch: Mythos Academy 2 (German Edition)
Minuten geredet, da ertönte zum letzten Mal der Gong. Ich blinzelte und sah von meinem Block auf. Überall um mich herum standen die anderen auf, schnappten sich ihre Bücher und rannten zur Tür.
Carson warf sich seinen Rucksack über die Schulter und drehte sich zu mir um. »Ich nehme an, ich sehe dich morgen auf dem Hof, wenn wir zum Karneval aufbrechen.«
»Jepp. In aller Frühe in der eisigen Kälte.«
Der Musikfreak schenkte mir ein scheues Lächeln und ging.
Ich ließ mir Zeit damit, mein Zeug in die Tasche zu packen, sodass ich am Ende allein mit Metis war. Ich ging zum Pult, wo die Professorin ihre eigenen Unterlagen in einen zerkratzten Aktenkoffer schob. Als meine Turnschuhe auf dem Boden quietschten, sah sie auf.
»Hallo, Gwen.« Metis lächelte mich an. »Wie geht es dir und Vic heute?«
Wie die anderen Schüler trug ich meine persönliche Waffe meistens den ganzen Tag mit mir herum. Es war letztendlich einfacher, als den Weg bis zum Wohnheim zu laufen, nur um sie vor dem Sportunterricht in der fünften Stunde zu holen. In meinem Fall war diese Waffe Vic. Das Heft des Schwertes ragte aus meiner Tasche. Vics Auge war geschlossen, und ich wusste, dass er schlief. Er hatte mir mehr als einmal erzählt, dass er Metis’ Stimme als sehr beruhigend empfand.
Die Professorin wusste alles über Vic und die Tatsache, dass das Schwert reden konnte. Sie war wie ich ein Champion. Metis diente Athene, der griechischen Göttin der Weisheit. Sie hatte mir sogar die Waffe gezeigt, die Athene ihr gegeben hatte – einen dicken Stab aus poliertem, goldfarbenem Holz. Alle Champions – ob nun gut oder böse – erhielten von ihrem jeweiligen Gott oder ihrer Göttin eine Waffe. Jede davon besaß eine Inschrift, die etwas Wesentliches über die betreffende Gottheit aussagte. Doch nur ein Champion konnte die Worte auf seiner eigenen Waffe lesen. Metis hatte mir erklärt, dass in ihren Stab die Worte »In der Weisheit liegt große Stärke« eingraviert waren. Vics Inschrift stand auf der Klinge: Semper Victor. Immer Sieger.
»Uns geht’s gut«, antwortete ich.
»Und wie läuft es im Training mit Logan?«
»Ähm, gut. Einfach … gut.«
»Gut« allerdings nur, wenn man beiseiteließ, dass ich im Kampf gegen Logan kaum eine Minute durchhielt. Der Spartaner hatte mich allein heute Morgen wieder fünfzehnmal getötet, bevor er Mitleid bekommen und mich mit Kenzie und Oliver zum Bogentraining geschickt hatte. Zumindest da wurde ich ein wenig besser. Ich musste nur an Daphne denken, und schon konnte ich jedes einzelne Mal den Pfeil mitten ins Schwarze setzen. Ich fragte mich, ob ich meine psychometrische Magie auch in anderen Dingen so einsetzen konnte, wie Daphne es vorgeschlagen hatte. Ausprobiert hatte ich es allerdings noch nicht. Ich war ein wenig abgelenkt gewesen, weil man mich gestern zweimal fast umgebracht hatte.
»Kann ich dir helfen, Gwen?«, fragte Metis. »Hast du was auf dem Herzen?«
Ich öffnete den Mund, um Metis von dem Geländewagen zu erzählen, der mich fast überfahren hätte, und von der Tatsache, dass letzten Abend in der Bibliothek der Altertümer jemand mit einem Pfeil auf mich geschossen hatte – aber ich bekam kein Wort heraus.
Ich wusste nicht, warum. Ich wollte ihr erzählen, was passiert war. Ich musste es ihr erzählen. Metis war klug. Sie würde wissen, was zu tun war. Sie würde wissen, wie sie mir helfen konnte.
Aber warum kannst du dir nicht selbst helfen? , fragte eine bösartige Stimme in meinem Hinterkopf. Du bist Nikes Champion. Du solltest fähig sein, auf dich selbst aufzupassen. Alle anderen hier können es doch auch.
Das stimmte. Daphne hatte ihre Walkürenstärke und ihre phantastische Bogenkunst. Außerdem würde ihre Magie wahrscheinlich schon bald erwachen, sodass sie noch mächtiger wurde, egal was für eine Gabe sie entwickelte. Logan, Kenzie und Oliver hatten ihre spartanischen Waffenfähigkeiten und konnten mit allem, was sie anfassten, Schnitter umbringen, egal wie harmlos der Gegenstand eigentlich war. Selbst Carson konnte besser mit dem Schwert umgehen als ich, und er war der netteste, süßeste, freundlichste Junge auf der Akademie.
Je länger ich auf Mythos ging, desto mehr wollte ich sein wie die anderen. Sicher ging es auch darum, endlich dazuzugehören und jemand anderes zu sein als Gwen Frost, das seltsame Gypsymädchen. Außerdem wollte ich auf mich selbst aufpassen können, mich selbst gegen Schnitter und Monster verteidigen. Aber am wichtigsten war
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