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Frostherz

Frostherz

Titel: Frostherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Broemme
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wollen. Sie hatte geradezu einen Narren an ihm gefressen. Nachdem er sie gestern im Barista getroffen hatte, wollte sie unbedingt den ganzen Abend mit ihm abhängen, einen Joint rauchen und in den Flussauen chillen. Sie wäre am liebsten bei der Aktion nachher dabei gewesen, aber das hatte er ihr ausreden können. Irgendwie fühlte sich Cornelius in ihrer Gegenwart nicht wohl. Das ganze Mädchen strahlte Schwierigkeiten aus. Er hoffte, dass sie nicht in ihn verknallt war, das könnte er gar nicht gebrauchen. Yuna kam ihm in den Sinn, die Tochter ihrer thailändischen Zugehfrau in Bangkok. Wie hatte sie ihn angeschmachtet, hatte ihm blühende Bodhi-Baum-Zweige in sein Zimmer gelegt und duftenden Jasmin. Aber für ihn war sie nur ein kleines Mädchen gewesen, gerade mal zwölf damals. Er wusste gar nicht, wie er mit ihr umgehen sollte. Manchmal hatte er im Hof mit ihr Federball gespielt oder Takraw, ein thailändisches Spiel, bei dem sie versuchten, sich gegenseitig einen kleinen Ball aus Rattan abzujagen, den man mit allen Körperteilen außer den Händen spielen durfte.
    Im Haus war es still. Fast. Er vernahm ein leises Stöhnen, ein Wimmern beinah. Und da sah er sie auch schon auf der zweiten Treppenstufe von unten kauern. Mit wenigen Schritten war er bei ihr.
    »Schmerzen?«, fragte er und seine Mutter öffnete kaum die Lider, als sie zu ihm hochsah. Sie nickte. Er legte einen Arm um ihren Rücken, griff unter ihrem rechten hindurch, legte sich ihre Beine über den anderen Arm und versuchte, sie hochzuheben. Obwohl sie schmal und zart war, musste er sich anstrengen. Vorsichtig wankte er mit ihr die Treppe hinauf, Stufe um Stufe. Stöhnend atmete sie auf, als er sie in ihr Bett sinken ließ.
    »Ich hol dir eine Tablette«, sagte er und verließ ihr Zimmer, in dem es schon fast ganz dunkel war und wo es nach Krankheit roch. Schnell war er wieder bei ihr, ein großes Glas Wasser und die Tabletten dabei. Mühsam richtete sie sich im Bett auf und nahm ihm die Sachen ab.
    »Ist Papa wieder nicht da?«, fragte er.
    »Unterwegs«, sagte sie leise. »Ich dachte, ich schaffe es allein die Treppe hoch. Aber es ging nicht…« Bei den letzten Worten war ihre Stimme kaum noch vernehmbar, sie schluckte schwer, unterdrückte ein Weinen. Cornelius streichelte ihre Hand, besah die schmalen Finger mit den stark vergrößerten Gelenken. Nein, man konnte sich wirklich nicht vorstellen, dass diese Finger einst wie auffliegende Vogelschwärme über die Tasten des Flügels gelaufen waren. Dass sie ihnen ihre größten Erfolge verdankte. Vor langer Zeit. Er strich ihr übers Haar.
    »Kann ich noch was für dich tun? Soll ich dir Eisbeutel bringen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich will nur schlafen.«
    Er küsste sie und ging aus dem Zimmer, hinüber in seins. In den Computer schob er die erste Twin-Peaks- DVD. Die dunklen, geheimnisvollen Töne der Titelmelodie beamten ihn in eine andere Welt – ob sie trotz Mord und Intrige und Missbrauch schlechter war als seine, wollte er gar nicht so genau wissen.
    Gegen elf schlich er aus dem Haus. Seine Mutter schlief tief und fest. Sein Vater war noch immer nicht zu Hause. Ihm sollte es recht sein. Er wollte gar nicht so genau wissen, wohin der Alte immer schlich. Aus dem Schuppen holte er die notwendigen Dinge, die er am Vortag besorgt und dort versteckt hatte. Er musste zugeben, dass ihm Amis Hilfe und Vermittlung dabei durchaus recht gewesen waren.
    Er quälte sich mit dem Fahrrad den Berg hoch, was mit der beladenen Kiste auf dem Gepäckträger noch unangenehmer als sonst schon war, und kam um zwanzig nach elf bei Anne an. Alles war dunkel. Im Nachbarhaus glücklicherweise auch. Er fischte zwei, drei kleine Kieselsteine von dem schmalen Weg, der vom Gehweg zur Haustür führte, und warf sie vorsichtig gegen Annes Fensterscheibe. Er betete, dass ihr Vater einen festen Schlaf hatte. Soviel er wusste, befand sich dessen Schlafzimmerfenster auf der Rückseite, zum Garten hin. Cornelius wusste, dass auch das kein Zufall war. Im Falle eines Brandes wäre Anne schneller auf der Straße und in Sicherheit, hatte Johann Jänisch überlegt. Cornelius schüttelte den Kopf. Ein Wahnsinn, dieser Typ! Und wie fraglos Anne das alles bisher hingenommen hatte, unglaublich! Hinter Annes Fenster rührte sich nichts. Vorsichtig schlich er näher heran. Der Rollladen war ganz heruntergelassen. Er pochte daran, rüttelte. Nichts tat sich. »Mist«, fluchte er leise vor sich hin. Er versuchte, den Rollladen

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