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Frostherz

Frostherz

Titel: Frostherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Broemme
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waren letztes Jahr in ziemlich vielen Kursen zusammen. Ist ganz amüsant, die Gute. Aber, was mich viel mehr interessiert: Können wir nicht mal ein paar Folgen Twin Peaks zusammen anschauen?«
    Anne stöhnte. Er kam ihr wie ein kleiner Terrier vor, der sich in der Wade festbiss.
    »Mal sehen«, antwortete sie wie so oft. Sie wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn und erhob sich. Dahinten kam Brunner zurück.
    Als sie fünf Minuten später den Schulgarten verließen, war Cornelius stinksauer. Der Lehrer war in keinster Weise zufrieden gewesen mit dem Ergebnis und hatte vor allem Cornelius niedergemacht, er hätte sich mal wieder vor der Arbeit zu drücken versucht. Cornelius hatte ihm den Spaten vor die Füße geworfen und war gegangen. Anne hatte schnell alle Geräte aufgehoben und im Schuppen verräumt. Brunner hatte Cornelius noch gedroht, das würde ein Nachspiel haben, aber der Junge hatte so getan, als hätte er den Mann gar nicht gehört.
    Vor dem Schulgebäude, gleich hinter der Bushaltestelle, entdeckte Anne den Mercedes ihres Vaters.
    »Was bist du so rot im Gesicht?«, begrüßte Johann seine Tochter und strich ihr über die Stirn.
    »Vom Singen«, sagte Anne beschwichtigend und sah Cornelius nach, der gerade in den Altstadtgassen verschwand. Dann schob sie erschrocken die Hände unter ihre Oberschenkel. Sie musste aufpassen, dass Johann ihre von Erde schwarz gefärbten Fingernägel nicht zu sehen bekam. Sie hasste es, ihn ständig belügen zu müssen und immer auf der Hut zu sein. Warum konnte sie nicht einfach das liebe, kleine Mädchen sein, das immer bei der Wahrheit blieb?
    »Papa«, sagte Anne nach dem Abendessen, während sie die Spülmaschine einräumte. »Kann ich dich was fragen?« Er sah von der Zeitung auf und nickte.
    »Cornelius ist so wahnsinnig schlecht in Bio und Französisch. Ich würde ihn gerne etwas unterstützen. Kann er nicht gelegentlich mal nachmittags vorbeikommen und ich lerne mit ihm?«
    Die Zeitung raschelte, als er sie zusammenfaltete. Er stand halb auf, fasste sie am Ellenbogen und zog sie auf seinen Schoß.
    »Nein«, sagte er dann. »Anne, versteh doch. Ich kann dich doch nicht alleine hier mit einem jungen Mann lassen. Was, wenn er keine guten Absichten hegt?«
    »Aber du kannst uns doch sehen! Jederzeit.«
    »Ich möchte nicht darüber diskutieren. Mir ist dabei einfach unwohl, mein Schatz.«
    Anne riss sich los und rannte aus der Küche. Donnernd fiel die Zimmertür ins Schloss. Sie warf sich auf ihr Bett und dann liefen die Tränen, wie schon seit Jahren nicht mehr. Wenn sie doch wenigstens noch ihre Großmutter gehabt hätte.
    Grußlos war sie am nächsten Morgen gegangen, sogar das Frühstück hatte sie verweigert. Die SMS nicht abzuschicken, hatte sie sich allerdings nicht getraut. Doch außer »Bin da« hatte sie nichts weiter hineingeschrieben.
    Sie wollte Cornelius nicht in die Augen schauen. Jeden Tag spürte sie den widerwärtigen Geschmack ihres kleinen, eingesperrten Lebens deutlicher auf der Zunge.
    Als sie Cornelius schon wieder mit dieser Ami zusammen in der Raucherecke unter dem Holunderbusch stehen sah, beeilte sie sich noch mehr, ins Klassenzimmer zu kommen. Sie war froh, dass er den Lateinkurs bei seinem Vater nicht besuchte. Ob er eigentlich seiner Mutter ähnlich sah?
    Am frühen Nachmittag saß sie über ihr Lateinbuch gebeugt und wollte keinen Anfang für die Übersetzung finden. »...causa est quoque regia virgo nescia, quem premeret, tergo considere tauri, cum deus a terra siccoque a litore sensimfalsa pedum primis vestigia ponit in undis…«
    Irgendetwas mit einer jungen, königlichen Frau, die unwissend war; es ging um Zeus, der sich in den Stier verwandelt hatte, aber die Deklinationen und Konjugationen verschwammen vor ihren Augen und die Stille im Haus umhüllte sie und versteckte die Welt außerhalb mehr und mehr vor ihrem Blick. Ihr war, als müsse sie mit dem Kopf auf die Schreibtischplatte sinken und wegdämmern.
    Sie starrte auf den Bildschirmschoner ihres Computers, tanzende Spiralen in wechselnden Regenbogenfarben, doch plötzlich waren sie weg.
    Anne fuhr hoch. Das gelbe Lichtlein des Monitors war verschwunden. Auch ihr Radiowecker zeigte keine Ziffern mehr an, im Flur war das Grün des Anrufbeantworters erloschen. Stromausfall, dachte Anne und schon fiel ihr Blick auf die Kameras. Kein rotes Licht mehr unter der Decke. Beinahe freute sie sich. Doch gleich würde ihr Handy klingeln, weil er erfahren wollte, was los

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