Frostherz
sei, und da konnte sie sich gleich auf den Weg in den Keller machen, um den Sicherungskasten zu suchen. Sie hasste es, in die Dunkelheit hinunterzugehen.
Kaum war sie zwei Stufen abwärtsgestiegen, hörte sie das Geräusch. Eine Tür quietschte. Eine der Türen im Keller. Sie schluckte schwer. Wich unwillkürlich zurück. Nun hörte sie Schritte. Die Klinke der Tür direkt vor ihr ging nach unten. Anne hielt den Atem an. Sie hatte das Gefühl, gleich ohnmächtig zu werden. Sie presste die Hände gegen die rau verputzte Wand in ihrem Rücken. Die Tür öffnete sich. Alle Luft wich aus Annes Lungen und sie ließ sich auf die oberste Stufe fallen.
»Hab ich dich erschreckt?«, fragte Cornelius.
»Allerdings!« Sie schrie.
»Entschuldige, das wollte ich nicht«, sagte er und das Braun seiner Augen sog ihren Blick an.
»Was machst du hier?«
»Ich wollte dich besuchen«, sagte er, als sei es das Selbstverständlichste der Welt. Was es ja eigentlich auch war. »Ich dachte, ich stell den Strom ab, dann können wir zwar weder Tee machen noch Twin Peaks gucken, aber die Kameras sehen uns nicht.« Er lächelte vorsichtig.
»Wie bist du reingekommen? Woher wusstest du, wo der Stromkasten ist?«
»Vielleicht bittest du mich erst mal in dein Zimmer?« Sie nickte irritiert und stand endlich auf.
»Hier«, wies sie ihn in den Raum. Während er sich umsah, berichtete er, dass die Kellertür ganz einfach zu knacken gewesen sei. Kurz mit der Scheckkarte aufgehebelt und schon sprang sie auf.
»Na, und bei uns ist der Stromkasten auch im Keller, bei vielen Leuten ist das so.« Jetzt grinste er so frech, wie sie es kannte. »Nett hast du’s hier. Laura Palmer hängt auch über meinem Bett. Allerdings neben Dale Cooper und BOB.«
»Ich weiß nicht…«, hob Anne an und da klingelte auch schon ihr Handy. Schnell nahm sie ab. Sie musste nicht aufs Display schauen, um zu wissen, wer dran sein würde.
»Was ist los? Die Kameras sind alle schwarz!« Anne hielt den Zeigefinger kurz warnend vor ihren Mund, dann sagte sie so ruhig wie möglich: «Ich glaube, es hat einen Stromausfall gegeben. Alle Geräte sind aus. Ich hab schon im Keller nach der Sicherung geschaut, aber da sieht alles normal aus. Vielleicht ein Fehler beim Elektrizitätswerk?«
»Mist«, fluchte ihr Vater. »Das Problem ist, ich komme hier gerade nicht weg. Mein wichtigster Mandant kommt gleich zum Termin. Vor halb sechs ist das heute nicht fertig hier. Okay, Anne, okay. Es wird auch einmal so gehen. Ich ruf jetzt gleich bei den Stadtwerken an und frage, was da los ist. Und du bleibst einfach ruhig in deinem Zimmer – versprichst du mir das?«
»Ja, natürlich, Papa, mach dir keine Sorgen. Es wird schon gut gehen. Ich muss eh Latein lernen.«
»Gut, mein Schatz, ich ruf dich nachher noch mal auf dem Handy an, ja?! Nur um zu hören, ob alles in Ordnung ist.«
Anne stöhnte laut auf, als sie das Telefonat beendet hatte.
»Und, kommt er gleich angerannt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Kann nicht.« Ohne es zu wollen, lächelte sie. Sie grinste von einem Ohr bis zum andern.
»Und jetzt lass mich mal die Kameras anschauen«, sagte Cornelius. Zehn Minuten später hatte er alle abgeschaltet, sodass sie den Strom im Keller wieder anschalten konnten. »Keine Sorge, die gehen rechtzeitig wieder auf Sendung.«
»Tee oder Twin Peaks?«, fragte Anne dann.
»Weder noch«, sagte Cornelius. »Wir haben etwas Wichtiges zu tun.« Und dann ging er ins Wohnzimmer und wandte sich dem digitalen Rekorder zu, der die Bilder der Überwachungskameras aufzeichnete.
»Jetzt starten wir die ›Anne-Jänisch-Befreiungsaktion‹.«
Doch eine Stunde später sah er sie mit unglücklichem Ausdruck an. Anne hatte ratlos zugesehen und sich gefragt, was Cornelius da eigentlich tat, aber er hatte so sicher und konzentriert gearbeitet, dass sie ihn nicht unterbrechen wollte.
»Mist«, sagte er resigniert. »Das ist komplizierter als ich dachte. Ich hatte gehofft, ich kann die Kameras so manipulieren, dass er statt des aktuellen Bildes nur ein aufgezeichnetes zu sehen bekommt.«
Anne betrachtete ihn skeptisch. Doch bevor sie etwas erwidern konnte, klingelte erneut ihr Handy.
»Ja, Papa?«
Sie brauchte nicht lange, um ihn zu beruhigen, dass alles okay sei. Sein Anruf bei der Stadt hatte nichts erbracht, eine Störung im Stromnetz sei nicht gemeldet worden. Er bat sie, die Sicherungen noch einmal ein- und auszuschalten, und sie versprach es.
»Na ja, sobald er mich auf dem Handy anruft und
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