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Frostherz

Frostherz

Titel: Frostherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Broemme
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ersten Töne gesungen, war das Lampenfieber fort. Sie hielt sich fest an den Tönen, kletterte mit ihnen in die Höhe, schwebte über allen, dem Publikum, der Schule, der Welt. Es war wunderbar. Rein und klar sang sie Note für Note, kein Zittern, kein Zaudern in der Stimme. Für eine Sekunde ergab sie sich am Ende dem Gefühl, der viele Applaus würde nur ihr gelten. Sie verbeugte sich tiefer als die anderen, strahlte und fühlte sich so leicht wie seit Wochen oder Monaten nicht.
    Als das Saallicht anging und die Scheinwerfer erloschen, stand schon Johann neben ihr, nahm sie in den Arm und drückte sie fest an sich.
    »Ich bin so stolz auf dich«, sagte er und auch er wirkte unbekümmert.
    »Ganz große Klasse«, bestätigte nun Hedi und küsste Anne sanft auf die Wange. »Vor allem dein Solo – ich hatte solche Gänsehaut!« Die alte Dame drückte Anne ein kleines Sträußchen aus Wildblumen – »selbst gesammelt« – in die Hand. Anne spürte, dass ihr Hals ein wenig kratzte nach der Anstrengung. Endlich sah sie Cornelius, der noch immer an der Säule stand, ihr aber lässig mit zwei Fingern zuwinkte.
    »Papa, hältst du bitte mal«, sagte Anne und drückte ihrem Vater die Blumen in die Hand. »Entschuldigt mich kurz.« Rasch ging sie auf Cornelius zu.
    »Wo gehst du hin?«, rief ihr Johann nach und das ganz leise Unbehagen in seiner Stimme ließ ihre Nackenhaare vibrieren.
    »Lass sie!«, hörte sie dann jedoch Hedi und ging schnell weiter.
    »Die Lieder sind grausam anstrengend, aber du warst brillant«, sagte Cornelius, als sie endlich vor ihm stand. »Alle Welt vergehet mit ihrer Herrlichkeit«, zitierte er Max Reger. »Na, ich hoffe doch nicht!«
    Anne spürte, wie ihr Herz schneller und schneller schlug, dabei sollte es sich doch beruhigen nach der überstandenen Aufregung. Doch irgendetwas war anders. Noch nie war der Blick in seine Augen so zwingend gewesen. Noch nie hatte sie so stark das Bedürfnis gespürt, ihn einfach zu umarmen. Und das war nicht nur die Erleichterung. Es war so viel mehr.
    »Du brauchst dringend etwas zu trinken«, sagte er und zog sie an der Hand mit sich. Vor der Aula, im großen Hof, war ein Getränkebuffet aufgebaut, ein paar Häppchen gab es auch.
    Der Duft der Linden, die den Hof umrandeten, nahm Anne fast den Atem. Weich legte sich die Abendluft auf ihre nackten Arme, erste Sterne blitzten am wolkenlosen Himmel auf. Cornelius presste ein beschlagenes Proseccoglas an ihren Oberarm und sie zuckte kurz erschrocken zusammen. Er lächelte entschuldigend, und ohne sich darüber verständigen zu müssen, gingen sie in Richtung des Schulgartens, wo kaum jemand zu sehen war. Die meisten Gäste und Schüler saßen an den Bierbänken, die im Hof aufgestellt worden waren. Gleichmäßiges Murmeln, unterbrochen von gelegentlichen Rufen, wurde zur Hintergrundkulisse.
    Anne wusste nicht, was sie sagen sollte. Das war ihr in Cornelius’ Gegenwart noch nie passiert. Auch er war still.
    »Ich find’s klasse, wie du das mit dem Kini wieder hinbekommen hast«, sagte er schließlich. Der Impuls, die Hand auszustrecken und die vorwitzige, dunkle Strähne aus seinem Gesicht zu streichen, war kaum noch zu unterdrücken. Sie blieb stehen und wandte sich ihm ganz zu. Er sah sie erwartungsvoll an. Worte waren völlig überflüssig. Jetzt. Sie wurde ganz ruhig. Hörte Grillen zirpen. Eine schmale Mondsichel wurde hinter seinem Kopf sichtbar. Als wüchse der Mond aus seinem Ohr. Sie musste lächeln.
    »Was ist?« Ohne Grund flüsterte er. Sie lächelte stumm weiter. Und da senkte er seinen Kopf, schon berührte seine Nase die ihre und dann spürte sie samtweiche Lippen auf ihrem Mund. Sie konnte nicht länger, ihre Arme schnellten vor, sie umklammerte seinen Hals, wollte sich zügeln, aber es ging einfach nicht. Von Herzen erwiderte sie seinen Kuss. Sie spürte seine Arme um ihren Oberkörper, fühlte sich so leicht wie beim Singen, ganz vorsichtig öffnete sie ihren Mund und hatte das Gefühl, nichts würde sie je wieder von ihm trennen können. Gar nichts.
    Für Minuten bestanden sie nur aus Armen und Lippen und Händen und Zungen und Sehnsucht und Erleichterung und Glück, riesigen Mengen an Glück. Erst als sie das Gefühl hatten, zusammenzubrechen unter all dem Glück, lösten sie sich voneinander. Sie trennten sich nicht. Sie gaben sich nur Zeit, Atem zu schöpfen, Luft zu holen. Anne kicherte und es war ihr nicht einmal peinlich. Cornelius sah verwundert zum Mond hinauf, als erkenne man ganz

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