Frostherz
genau, dass er aus Käse sei und ein Astronaut von ihm aß. Auch er gab glucksende Laute von sich. Schließlich trafen sich ihre Augen wieder. Ihre Hände. Ihre Münder. Ihre Zungen.
Der Ruf, der durch die Nacht scholl, musste ein paarmal wiederholt werden, ehe er sie erreichte.
»Anne, wo bist du?« Eine Männerstimme, aggressiv und ängstlich zugleich.
»Hier«, piepte sie und hielt sich die Hand vor den Mund. Sie wollte nicht zurück. Sie wollte bei ihm bleiben, in diesem Märchenkussland, weit fort von der wirklichen Welt.
Doch da stand Johann schon vor ihr, funkelnden Blickes. »Ich habe dich gesucht!« Jedes Wort betonte er einzeln. Wieder schwoll das Kichern in ihr an.
»Wo warst du?«
Das Kichern beruhigte sich, verkroch sich. »Hier«, sagte sie knapp.
»Hast du getrunken? Reinstes Zellgift!«, stieß er aus. Unsanft packte er sie am Oberarm.
»Und du lässt gefälligst die Finger von meiner Tochter«, herrschte er Cornelius an. Dann riss er sie mit sich, ein letztes Mal streifte ihre Hand die von Cornelius.
»Ich freue mich schon auf Annes 18. Geburtstag. In vier Monaten!«, rief Cornelius ihnen nach.
»Da wird der Typ bestimmt nicht dabei sein«, zischte Johann und ging noch schneller. Anne hielt Schritt. Sie sah in den Himmel, jeder Stern hatte seine Augenfarbe. Alles in ihr war mild und sanft, als stünde sie unter Drogen.
»Ich möchte ihn nicht in deiner Nähe sehen, verstanden?« Er redete und redete und Anne fühlte sich immer betrunkener. Nach einem halben Glas Prosecco. Sie kicherte.
»Hör auf damit«, machte Johann weiter. »So ein Kerl ist Gift für dich. Der macht dich kaputt. Das ist ein kranker Typ, der nimmt Drogen.«
»Quatsch«, sagte sie nun mit heller Stimme. »Das ist der Sohn von meinem Lateinlehrer. Der zieht sich nur gerne bunt an.«
»Ich weiß, wer er ist. Und ich weiß, zu welchem Unsinn er dich verführt. Ich habe mich vorhin mit Herrn Brunner unterhalten.«
Seine Worte waren wie eine kalte Dusche, die die letzten Reste eines Katers wegspülte. Mit einem Mal konnte sie wieder klar denken. Musste.
»Ich muss in nächster Zeit einfach noch besser auf dich aufpassen! Wie konnte so etwas passieren? Dass du nachts abhaust – Anne! Du hast mich schwer enttäuscht!« Sie riss sich los, spürte Tränen aufsteigen. Scheiße, Scheiße, Scheiße. Unbesiegbar hatte sie sich bis eben gefühlt, am Beginn einer neuen Ära ihres Lebens. Er schubste sie in Richtung des schwarzen Mercedes, öffnete mit der Fernbedienung die Türen.
»Es ist doch nur zu deinem Besten! Versteh das endlich!« Schon machte sie den Mund auf, um ihn anzuschreien. Ihn so in Grund und Boden zu schreien, wie er es noch nie in seinem ganzen Leben erlebt hätte. Mit Flüchen, Verwünschungen, Beschimpfungen hätte sie ihn belegt. Aber da schrie schon ein anderer. So donnernd und grell wie sie selbst das nie hinbekommen hätte.
»Du, Flittchen! Ich will dich nie wiedersehen! Geh mir aus den Augen!«, hallte die scharfe Stimme von Brunner über den Parkplatz, der bereits fast leer war. Er hatte sich drohend aufgerichtet vor einer Blondine in weißen Jeans und wassergrüner, halb durchsichtiger Bluse. Marita Jung.
»Albert, bitte…«, weiter kam die Maklerin nicht.
»Halt’s Maul!« Der Lehrer hob seinen Ellenbogen in Höhe ihres Gesichtes und schien kurz davor zuzuschlagen. Johann ließ Anne stehen und rannte auf die beiden zu. Anne ging langsam hinterher.
Brunner hatte einen hochroten Kopf, er schwankte hin und her, als sei er betrunken – oder zumindest angetrunken. Marita Jung starrte ihn bewegungslos an, bereit, sich zu ducken oder wegzulaufen. Der Lehrer sah irritiert auf Johann, der fast bei den beiden angekommen war.
»Herr Brunner«, sagte er. »Das wollen Sie nicht. Sie wollen die Frau nicht schlagen. Kommen Sie runter. Beruhigen Sie sich.« Brunner ging ohne Vorwarnung ganz dicht auf Johann zu.
»Sie müssen mir gerade was sagen!«, brüllte er und Anne hatte Angst, der Lehrer würde gleich Johann zu Brei schlagen.
»Albert, lass ihn, er hat nichts damit zu tun«, schaltete sich Marita Jung ein. »Steig jetzt ein, komm. Ich fahre uns nach Hause.«
Brunner schrumpfte ganz langsam auf seine normale Größe zusammen, drohte Johann noch einmal mit der Faust und stieg dann tatsächlich auf den Beifahrersitz seines silbernen BMW-Cabrios.
Anne beeilte sich mit dem Einsteigen und war schon angeschnallt, als Johann neben ihr Platz nahm. Auf der Heimfahrt sprachen sie kein einziges Wort.
Anne
Weitere Kostenlose Bücher