Frostherz
Fensterscheibe zu sehen. Es war egal. Und das war das erste gute Gefühl seit Tagen.
Vor dem Haus der Großmutter stand nirgends ein rotes Motorrad. Auch hinter dem Haus nicht und nicht im Garten. Das ganze Gebäude atmete Leere. Auch das Zimmer war leer. Noch einmal sah sie sich ratlos um. Was sollte es hier geben, das irgendjemand unbedingt haben wollte? Nach 30 Jahren… Das Glas fiel ihr wieder ein, dessen Scherben oben im Abfalleimer lagen. Und wenn doch jemand am Abend vor ihrem Tod bei ihrer Großmutter gewesen war? Jemand, der noch eine Rechnung offen hatte? Die seit 30 Jahren nicht beglichen worden war? Sie ging nach oben, goss sich an der Spüle ein Glas Wasser ein, trank es in einem Zug. Sie zog ihr Handy hervor. Vier unbeantwortete Anrufe. Alle von Johann. Egal. Wieder einmal wählte sie Cornelius’ Nummer. Nichts. Natürlich nicht. Mit einem Mal bekam sie eine riesige Wut! Warum ließ dieser Typ sie so im Stich? Er musste doch mitbekommen haben, was passiert war. Vielleicht – ihr Magen krampfte sich zusammen – saß er bei Ami im Krankenhaus und hielt ihre Hand? Vielleicht war es alles noch viel schlimmer und der Angriff gestern hatte ihr gegolten, vielleicht wollten die beiden sie loswerden und durch ein Missgeschick war nicht sie, sondern Ami verletzt worden… Sie ließ sich an den alten Holztisch sinken, legte den Kopf auf seine spröde Oberfläche, besah den schwarz-weiß karierten Fliesenboden. Nirgends eine Antwort. Unter dem großen Standkühlschrank lugte ein dunkles Blatt hervor. Sie rappelte sich hoch, stellte ihr Glas in die Spüle, bückte sich und zog das glänzende Papier hervor. Es war ein Durchschlagpapier, wie man es früher verwendet hatte, wenn man von einem Brief eine Kopie haben wollte. Auf der dunkelblauen Rückseite konnte sie feine hellere Schriftzeichen lesen, allerdings spiegelverkehrt. Sie setzte sich zurück an den Tisch und erkannte die enge, verschlungene Handschrift ihrer Großmutter. Das Blatt hatte wohl schief unter dem eigentlichen Briefbogen gelegen und so war keine Anrede erkennbar. Auch waren ein paar Satzenden abgeschnitten. Mit etwas Mühe und unter Zuhilfenahme eines kleinen Handspiegels aus dem Flur gelang es ihr trotzdem, einen Brief zu entziffern.
es ist alles sehr lange her und vielleicht haben Sie alles vergessen. Ich nicht. Ich denke jeden Tag … Tag denke ich daran, dass sich mein armer Junge … Leben genommen hat, das Sie ihm zerstört haben.
lange die Augen verschlossen vor der Wahrheit. Aber … nicht mehr. Jetzt bin ich alt und jetzt macht es … mehr aus, die Dinge beim Namen zu nennen … Vielleicht liegt das auch an der Chronik, die mir vor
Tagen zugeschickt wurde. Über den Bildern meines lieben…
wurde mir plötzlich klar, dass ich als Mutter ver...
habe. Ich hätte damals seine Hilfeschreie hören … Ich habe es nicht. Ich habe weggehört. Wenn er nicht … den Reisen wollte, habe ich ihn gezwungen, weil ich fand … eine Auszeichnung in Ihrem Chor mitreisen zu dürfen.
gedacht, er wird immer stiller und zurückgezogener … bald in die Pubertät kommt. Dabei war er erst elf. Weil … Chronik kam, habe ich mich auch verpflichtet gefühlt, endlich … Zimmer zu gehen, das nun 30 Jahre lang abgeschlos … Der Schmerz war einfach zu groß. Ich konnte nur überleben, indem ich ihn aus meinem Kopf und Herzen gerissen…
Es war ein hoher Preis. Aber nur so konnte ich überleben. Und ich musste ja, schließlich gab es ja Johann. Nun habe ich, nach 30 Jahren, sein Zimmer aufgeschlossen und dort tatsächlich ein Büch...
gefunden, in dem mein lieber Andreas alles aufgeschrie...
warum er sich umgebracht hat. Wie Sie ihn gequält … Und mir ist klar geworden, dass ich es immer wusste,
passiert war und es in mir verschlossen habe wie … Auster ihre Perle. Meine Schale ist so hart wie die der Auster…
Perle in mir ist verwest und verrottet.
will sie nicht ins Grab mitnehmen. Ich hatte damals Angst … Schande und dachte, dass mir keiner glaubt. Und ich … den Gedanken, dass mein lieber Andreas eine zu blühen … Fantasie hat. Als ich aber seine Aufzeichnungen gele…
wurde mir klar, dass kein Kind so etwas erfinden kann.
will, dass meinem lieben Andreas Gerechtigkeit widerf…
will, dass Sie für Ihre bösen Taten geradestehen.
wen Sie noch alles auf dem Gewissen haben. Ich werde … sorgen, dass alle Welt erfährt, was für ein schlechter Men...
sind. Was für ein Teufel. Ich will nicht ster…
bevor ich nicht endlich den Mörder meines
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