Frostherz
Sohnes
Anklagebank sitzen sehe. Aber ich will Ihnen ein…
Chance bieten, denn ich bin durch und durch Christin:
gebe Ihnen bis zum 30. April Zeit, sich selbst bei der Poli…
anzuzeigen. Wenn Sie dies nicht tun, dann werde ich … Und ich werde auch die lokale Presse informieren.
ist mir egal, ob Ihre Schuld schon verjährt ist oder …
Selbst wenn kein Gericht Sie mehr bestrafen kann,…
Gesellschaft kann es. Das werden Sie dann schon …
Einen Moment war ihr so schwindelig, dass sie dachte, sie würde vom Stuhl kippen. Sie nahm sich noch ein Glas Wasser und trank gierig. Es war unfassbar! Welche Qualen musste ihre Großmutter gelitten haben – mehr als 30 Jahre lang. Und schließlich hatte sie den Kummer sogar mit ins Grab genommen, hatte keine Genugtuung erfahren. Sie konnte kaum glauben, dass ihre Großmutter jemandem vorwarf, Andreas umgebracht zu haben. Nach 30 Jahren! Doch wem? Es konnte sich nur um diesen Chorleiter handeln, wie hatte er geheißen? Irgendwie eklig. Wie… genau, Koth. Sie ärgerte sich, dass die Chronik bei ihr zu Hause lag und sie nicht noch einmal hineinschauen konnte. Wer mochte dieser Herr Koth nur sein? Ob der noch lebte, hier im Ort gar? All die Jahre völlig unangetastet trotz seines bösen Verbrechens. Natürlich hatte die Großmutter es nicht offen ausgesprochen, aber ihr war schnell klar geworden, dass dieser Chorleiter den kleinen Andreas wohl missbraucht hatte. Auf den Reisen. Wie grauenhaft! Und er hatte offensichtlich nirgendwo Hilfe erhalten. Nicht von seinen Eltern, nicht von Freunden oder Lehrern. Kein Wunder, dass er sich in Drogen und Alkohol geflüchtet hatte. Ob Hedi die Wahrheit gekannt hatte?
Im Wohnzimmer fand sie ein schon etwas älteres Telefonbuch, aber es war niemand mit dem Namen »Koth« verzeichnet. Wahrscheinlich war dieser Typ längst über alle Berge. Aber Moment – hatte er vielleicht aufgrund dieses Briefes ihre Großmutter besucht? Hatte er mit ihr reden wollen? War von ihm das zweite Glas? Und wo war dieses Büchlein nun, das die Großmutter erwähnt hatte? Mit einem Mal krachten Erkenntnisse wie Granatsplitter rings um sie ein. Vielleicht war er hier gewesen, hatte aber nicht bekommen, was er wollte, weil die Großmutter – zuvor gestorben war. Und dann war er nachts wiedergekommen, hatte eingebrochen und in Andreas’ Zimmer nach dem Buch gesucht. Er hatte sie selbst, Anne, verdächtigt, dass sie das Buch hatte. Er hatte ihr Zimmer durchsucht und ihren… Rucksack. Er musste in ihrer Nähe sein. Verdammt, wenn sie nur wüsste, wer er war! Und wo das Buch war! Ihre Großmutter schien es gut versteckt zu haben. Bloß wo?
Die Marienstatue fiel ihr ein, im Schlafzimmer der Großmutter. Wie gerne hatte sie selbst dort als Kind kleine Schätze versteckt, nachdem sie einmal den Mechanismus herausgefunden hatte. Sie polterte die Treppe hoch, stürmte in das muffige Zimmer und beugte sich zu der kleinen Holzfigur auf dem Sockel. Sie klappte die Statue zurück und griff in den Hohlraum. Leer. Eindeutig leer. Mist. Ob der Chorleiter selbst schon fündig geworden war? Aber nein… der Angriff gestern Abend! Vielleicht hatte er doch ihr gegolten! Vielleicht hatte er sie einschüchtern wollen. War es wirklich Cornelius’ Motorrad gewesen? Wenn… wenn Cornelius irgendwie in die Sache verwickelt war, dann konnte das doch nur heißen… Der Ton des Handys zerriss die Stille wie das Heulen einer Sirene. Sie wollte es schon ignorieren, das war bestimmt wieder Johann, der wissen wollte, wo sie sei. Ob es ihr gut ginge. Gut! Es war ihr noch nie gut gegangen. Außer an jenem einen Abend, den er zerstört hatte. Vielleicht sollte sie ihm das mal sagen. Sie sah aufs Display und mit nervösen Fingern schaffte sie es, die grüne Taste zu drücken.
»Cornelius!«, schrie sie hinein. »Wo bist du?«
»Wo bist du? Ich muss dringend mit dir reden!«
Es tat so gut, seine Stimme zu hören.
»Ich bin im Haus meiner Großmutter. Du glaubst gar nicht, was…«
»Okay, bleib dort! Geh nicht weg! Ich bin in ungefähr einer Viertelstunde dort. Warte bitte auf mich, ja? Versprochen? Es ist wichtig!«
Sie nickte und rief »ja, ja, natürlich« und dann hatte er schon aufgelegt und das leere Haus weitete sich um sie wie ein Luftballon kurz vor dem Platzen. Sie lief wieder nach unten, wanderte im Wohnzimmer auf und ab. Setzte sich kurz in den Sessel, sprang wieder auf, und obwohl sie wusste, dass er gleich bei ihr sein würde, zuckte sie erschrocken zusammen, als es klingelte.
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