Frostkuss
zuwandte. Sie konnte es. Sie war eine Kriegerin und wurde seit Jahren zum Kämpfen ausgebildet.
»Du hättest es einfach gut sein lassen sollen, Gypsy«, murmelte Jasmine, als sie mir entgegentrat. »Du hättest meinen Tod einfach ignorieren sollen, wie die anderen es getan haben.«
Ich kam schlitternd vor ihr zum Stehen. »Sag mir nur noch eines: Warum hast du mich an diesem Abend in der Bibliothek nicht getötet, als du die Chance dazu hattest? An dem Abend, als du mir einen Schlag auf den Kopf verpasst hast, wahrscheinlich mit diesem dämlichen Dolch in deiner Hand, und mich bewusstlos geschlagen hast. Warum hast du mir da nicht einfach die Kehle aufgeschlitzt?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Weil du ein Niemand warst. Ich kannte nicht mal deinen Namen. Du hattest keine echte Macht, nichts, was ich nehmen oder benutzen konnte, also warum hätte ich dich töten sollen?«
Ich packte das Buch fester, und für einen Moment dachte ich an Paige Forrest. Sie war ebenfalls machtlos gewesen. Meiner Mom zufolge hatte Paiges Stiefvater ihr erklärt, dass er zu ihrer kleinen Schwester gehen würde, wenn Paige sich nicht von ihm berühren ließ. Deswegen hatte sie niemandem erzählt, was los war. Also hatte sie das Einzige getan, was sie tun konnte – sie hatte mich ihre Haarbürste berühren lassen.
Weil sie wusste, was ich konnte. Paige hatte gewusst, dass ich Macht hatte, dass ich Magie besaß, selbst wenn sie sie nicht verstand. Selbst ich verstand sie nicht.
»Ich bin kein Niemand«, presste ich zwischen den Zähnen hervor.
Jasmine verdrehte die Augen. »Was auch immer. Du wirst trotzdem sterben.«
Mit diesen Worten warf sie sich auf mich. Der Dolch sauste mit einem bösartigen Zischen durch die Luft, das gut zum Pirscher gepasst hätte. Instinktiv riss ich das Buch hoch und hielt es zwischen mich und die Waffe. Die Klinge drang in den Einband und durchstach alle Seiten. Sie kam auf der anderen Seite wieder heraus und stoppte nur Zentimeter vor meinen Augen. Ja, daraufhin war heftiges Schreien angesagt.
Jasmine fluchte laut und bemühte sich, den Dolch wieder aus dem Buch zu befreien. Aber ich packte fester zu und drehte, bis sie den Halt am Knauf der Waffe verlor. Dann warf ich das Buch mit dem Dolch darin so weit weg wie nur möglich. Es knallte auf den glatten Marmorboden und schlitterte davon, drehte sich wieder und wieder, bis es schließlich am anderen Ende der Bibliothek unter einem Tisch liegen blieb.
»Miststück«, sagte Jasmine. »Das war mein Lieblingsdolch.«
Sie hatte einen Lieblingsdolch? Ehrlich? Und sie hielt mich für einen Freak.
Bevor ich mich zurückziehen konnte, schlug mir Jasmine mitten ins Gesicht. Dann rammte sie mir die Faust in den Magen und nutzte dabei ihre Walkürenstärke. Die Schmerzen der Schläge waren schon schlimm genug, aber ihre Haut berührte auch meine – und so fühlte ich all ihre angestaute Wut und den Hass auf Morgan, Samson und jeden anderen auf der Schule, der ihren vorgetäuschten Tod ignoriert hatte. Die Gefühle verbrannten mich wie Säure. Ich fiel auf die Knie, schnappte nach Luft und kämpfte darum, mich nicht zu übergeben.
Jasmine sah auf mich hinunter, schüttelte den Kopf und ging zurück zu Morgan, die immer noch auf dem Tisch lag und teilnahmslos zur Decke starrte.
Die Schale der Tränen stand auf Morgans Brust, und das Blut darin fing an zu kochen. Selbst aus einiger Entfernung konnte ich fühlen, dass Macht davon ausging. Ich hatte die Schale zuvor schon für übel gehalten, aber im Moment strahlte sie die schrecklichste Art von reinem schwarzem Hass aus.
Jasmine griff nach unten und zog unter dem Tisch ein langes Schwert hervor. Wo zur Hölle kam das jetzt her? Jasmine drehte sich um und kam wieder auf mich zu, wobei sie das Schwert durch die Luft sausen ließ, als könnte sie es gar nicht erwarten, es in mir zu versenken.
Ich war mir vage bewusst, dass Logan irgendwo im hinteren Teil der Bibliothek in der Nähe der Türen mit dem Pirscher kämpfte. Das erbarmungslose Fauchen der Kreatur erfüllte den Raum, genau wie das Klirren des Schildes unter den Klauen, während das Wesen versuchte, dieses Hindernis zu beseitigen, um den Spartaner endlich in Stücke reißen zu können. Ich glaubte sogar zu hören, wie Logan meinen Namen rief und mir zuschrie, ich solle mich umdrehen und weglaufen, weil Jasmine mich mit dem Schwert in Stücke hacken wollte. Ich verdrehte die Augen. Als hätte ich das nicht bereits gewusst. Ich war zwar in Sport eine
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