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Frostkuss

Frostkuss

Titel: Frostkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Estep
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verschiedene Zeiten, verschiedene Feinde. Kleidung, Waffen, Rüstung, Leute. Sie veränderten sich und wurden mit jedem Kampf moderner.
    Aber eine Sache blieb in jedem Bild gleich – immer schwang eine Frau das Schwert. Wieder und wieder blitzten ihre Gesichter vor meinem inneren Auge auf, fast zu schnell, um den Bildern zu folgen. Aber ich fühlte sie, fühlte all die Dinge, die sie empfunden hatten, während sie das Schwert schwangen. Stolz. Macht. Angst. Wut. Und immer wieder tiefes Pflichtgefühl und Ehre.
    Es gab auch Lücken, Zeiten, in denen das Schwert überhaupt nicht zu sehen war und es nur um die Frauen ging. Eine nach der anderen wurde geboren, wuchs auf, bekam selbst Töchter, wurde alt und starb schließlich. Die Bilder sprangen von einer zur anderen, und ich hatte das Gefühl, dass dies eine lange, ungebrochene Kette von Frauen war, die sich durch die Geschichte zog bis zurück in die Zeit, als die Götter selbst auf Erden wandelten.
    Unter den Gesichtern sah ich ein vertrautes – Grandma Frost. Ihre Züge flackerten für einen Moment vor meinem inneren Auge auf, bevor sie von einem anderen Gesicht ersetzt wurden – dem meiner Mom.
    »Mom?«, flüsterte ich.
    Grace Frost lächelte mich an und öffnete den Mund, als wollte sie mir etwas sagen.
    »Mom!« Ich streckte ihr die Hand entgegen, als könnte ich irgendwie in die Vision greifen und sie berühren.
    Dann fühlte ich, wie ich fiel, fiel, fiel …
    Mit einem Keuchen riss ich die Augen auf und stellte fest, dass ich mitten in der Bibliothek der Altertümer stand, an der Stelle, wo der Schaukasten mit der Schale der Tränen gestanden hatte. Ich hielt immer noch das Schwert in der Hand. Sofort wirbelte ich herum und suchte nach den anderen.
    Sie waren nicht da.
    Es gab keine Jasmine, die versuchte, mich umzubringen. Auch keine Morgan, die auf dem Tisch lag und ins Nichts starrte. Keinen Logan, der gegen einen Nemeischen Pirscher kämpfte. In der Bibliothek war nur ich – allein.
    »Hallo?«, rief ich. »Ist … ist hier irgendwer?«
    Meine Stimme hallte durch die Bibliothek, ein verängstigtes, kleines Geräusch, das lange in der Luft zu hängen schien …
    »Hallo, Gwendolyn«, raunte eine weiche Stimme.
    Ich unterdrückte einen Schrei und drehte mich um. Hinter mir, direkt vor der geschlossenen Flügeltür, stand eine Frau. Auf den ersten Blick war an ihr nichts Besonderes. Durchschnittlich groß, schlank, aber muskulös. Ihr Haar fiel ihr in sanften braunen Locken auf die Schultern und schien in einem metallischen Bronzeton zu leuchten. Sie trug ein Kleidungsstück, das mich an eine Toga erinnerte – lange, fließende Stoffbahnen in einem fliederfarbenen Ton. Ein silberner Gürtel schlang sich um ihre Hüfte, und irgendwelche silbernen Pflanzen lagen wie eine Krone um ihren Kopf. Lorbeeren, dachte ich und fragte mich im nächsten Moment, woher ich das wusste.
    Aber je länger ich sie anstarrte, desto klarer wurde mir, dass sie schlichtweg die schönste Frau war, die ich je gesehen hatte. Nicht weil ihre Gesichtszüge so schön gewesen wären, sondern weil sie eine Aura besaß, eine Präsenz ausstrahlte, ein Gefühl von Frieden und Gelassenheit und Ewigkeit. Aus irgendeinem Grund tröstete mich das, selbst jetzt, da ich eigentlich wegen der ganzen Seltsamkeiten in der letzten Stunde laut hätte schreien müssen. In der letzten verdammten Minute .
    Die Frau kam näher, und ihre Toga umfloss ihren Körper wie Wasser. Zum ersten Mal fiel mir auf, dass sie zwei weiche, gefiederte Flügel auf dem Rücken trug, die ziemlich genauso aussahen, wie ich mir Engelsflügel immer vorgestellt hatte. War ich tot? War das irgendeine Art von Himmelreich?
    Die geflügelte Frau blieb vor mir stehen und betrachtete mich aus Augen, die weder grau noch purpurn waren, sondern den sanften Farbton der Dämmerung hatten.
    »Wer bist du?«, flüsterte ich.
    Sie legte den Kopf schräg und lächelte. »Ich glaube, das weißt du.«
    Plötzlich wusste ich es tatsächlich. Das Wissen erfüllte meinen Geist. Ich hatte ihr Bild in meinem Mythengeschichtsbuch gesehen und hatte Professor Metis über sie sprechen hören. Ich hatte sogar hier, in genau dieser Bibliothek, ihre Statue gesehen. Ich blickte zu der Stelle im ersten Stock auf, an der die Statue immer stand, aber sie war verschwunden. Vielleicht, weil ich sie gerade vor mir sah.
    »Du bist Nike, die griechische Göttin des Sieges«, sagte ich mit schwacher Stimme.
    Sie nickte. »Richtig. Und du bist Gwendolyn Frost,

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