Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frostkuss

Frostkuss

Titel: Frostkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Estep
Vom Netzwerk:
kniff die Augen zusammen. Vielleicht war Jasmine gar nicht das ach so unschuldige Opfer, für das ich sie bis jetzt gehalten hatte. Vielleicht … vielleicht hatte sie in Wirklichkeit jemandem dabei geholfen, die Schale der Tränen zu stehlen, bevor sie umgebracht worden war. Professor Metis hatte mir erklärt, dass schon früher Mythos-Schüler mit Schnittern zusammengearbeitet hatten. Warum sonst sollte Jasmine dieses Buch besitzen, mit einem Lesezeichen an der Stelle über die Schale, wenn sie nicht irgendwie in den Diebstahl verwickelt gewesen war?
    Ich schob das Buch neben dem Laptop in meine Tasche.
    Dann ging ich zum letzten Einrichtungsgegenstand, in den ich einen Blick werfen wollte – dem Abfalleimer unter dem Schreibtisch.
    Meine Mom hatte immer gesagt, dass die Leute eine Menge interessanter Dinge im Mülleimer liegen ließen. Dinge, von denen man wirklich glauben sollte, sie würden sich die Mühe machen, sie zu verstecken, bevor Ermittler auf der Suche nach Beweisen für ein Verbrechen das Haus auf den Kopf stellten. Meine Mom hatte behauptet, dass die Leute die Sachen in den Eimer warfen und dann einfach vergaßen, als würde es keinen Unterschied machen, ob man etwas in den Müll warf oder in einer Verbrennungsanlage einäscherte.
    Also zog ich den Eimer unter dem Schreibtisch hervor und wühlte mich durch den Inhalt, wobei mein Ärmel weiterhin verhinderte, dass ich zufällig etwas berührte. Überwiegend war es der übliche, langweilige Müll. Eine halb aufgebrauchte Tube Lipgloss. Ein paar zerknüllte Taschentücher. Eine leere Tüte Chips. Aber eine Sache war interessant: ein Foto, das ganz unten lag.
    Das Bild war in zwei Hälften gerissen worden. Ich hob beide Teile auf, drehte sie um und hielt sie aneinander.
    Zu meiner Überraschung zeigte das Foto nicht Jasmine. Stattdessen lächelten mich Morgan McDougall und Samson Sorensen an. Sie hatten die Arme umeinander gelegt und grinsten in die Kamera. Das Foto wirkte, als wäre es irgendwann im Frühling auf dem Hof aufgenommen worden, weil an dem Baum hinter ihnen frische Blätter sprossen.
    Ich runzelte die Stirn. Warum sollte Jasmine dieses spezielle Foto zerreißen? Lief da etwas zwischen Morgan und Samson? Den Gerüchten zufolge hatte Morgan jetzt, da Jasmine tot war, ein Auge auf Samson geworfen. Aber dieses Foto war vor gestern Abend zerrissen worden, also bevor Jasmine ermordet worden war.
    Nichts davon ergab einen Sinn. Im Moment hatte ich mehr Fragen als Antworten – und ich konnte noch eine Menge Ärger bekomme, falls mich jemand beim Herumschnüffeln überraschte.
    Ich steckte das zerrissene Foto zu den anderen Sachen in meine Tasche. Dann ging ich auf Zehenspitzen zur Tür und lauschte auf Stimmen oder Schritte von draußen. Alles war still, also öffnete ich die Tür und schob mich in den Flur.
    Ich verließ das Wohnheim auf demselben Weg, auf dem ich gekommen war, eilte die Stufen hinunter und ging durch den großen Aufenthaltsraum. Inzwischen waren noch ein paar Mädchen ins Wohnheim zurückgekehrt, aber keines von ihnen beachtete mich, als ich vorbeiging. Glücklicherweise brauchte ich keine ID-Karte, um das Gebäude zu verlassen, also drückte ich einfach nur die Tür auf, eilte die Stufen hinunter und erreichte schließlich den gepflasterten Weg.
    Mit einem Rundumblick stellte ich sicher, dass mich niemand beachtete, dann wanderte ich um das Steingebäude herum, um über kleinere Höfe und Wege zu meinem eigenen Wohnheim zu gehen.
    Ich hatte Walhalla fast hinter mir gelassen, als sich im ersten Stock ein Fenster öffnete, ein Rucksack nach draußen flog und vor mir auf dem Boden landete. Irgendwie schaffte ich es, meinen überraschten Aufschrei zu unterdrücken. Besonders als ungefähr eine Sekunde später auch noch ein Kerl in perfekter Hocke vor mir landete. Er kam problemlos auf die Beine, als wäre ein Sprung aus sechs Metern Höhe keine große Sache. Da erkannte ich, wer es war.
    Der verdammte Logan Quinn.
    Inzwischen war es eher dunkel als hell, und der Spartaner wirkte in den düsteren Schatten nur umso gefährlicher. Der fahle, milchig weiße Mond brachte die blauen Strähnen in seinem lockigen schwarzen Haar zum Leuchten. Logan klopfte sich ein paar Blätter von den Designerjeans, dann sah er auf und entdeckte, dass ich ihn anstarrte. Sein fein geschnittenes Gesicht wurde hart, und er kniff die Augen zusammen.
    »Sieh an, sieh an, wenn das nicht das Gypsymädchen ist, das hier ganz allein im Dunkeln herumläuft.«

Weitere Kostenlose Bücher