Frostnacht
mussten mehr als ein Dutzend Rocks sein, auf denen jeweils einer oder sogar zwei Schnitter saßen. Die langen, schwarzen Roben der Schnitter flatterten im Wind, während die Gummimasken vor ihren Gesichtern diesmal besonders scheußliche Versionen von Lokis Gesicht zu zeigen schienen.
»Macht euch bereit«, murmelte Ajax und ließ seine Knöchel knacken. »Auf mein Kommando hebt ihr die Waffen und zieht euch in den Hof zurück. Die Schnitter sollen zu uns kommen. Kämpft, wie ihr wollt, aber immer in einer Gruppe. Und haltet euch von den Rocks fern, sonst zerreißen sie euch mit ihren Schnäbeln und Krallen. Daphne, du hältst dich hinter uns und erledigst so viele Rocks wie möglich mit deinem Bogen.«
Meine Freundin nickte und zog sich langsam zurück. Die anderen packten ihre Waffen fester und hoben sie zum Angriff.
Die Schnitter lösten sich einer nach dem anderen aus ihren Geschirren und drängten vorwärts. Ich holte tief Luft und hob Vic, bereit für einen weiteren Kampf …
Da legte sich von hinten ein Arm um meine Hüfte. Bevor ich reagieren konnte, bevor ich mich auch nur bewegen oder mich wehren konnte, presste sich eine kalte, scharfe Klinge gegen meine Kehle – ein Dolch.
Doch noch mehr überraschte mich, wer die Waffe hielt.
»Keine Bewegung«, zischte Covington meinen Freunden zu. »Oder Nikes Champion stirbt.«
Alle erstarrten.
Ich hatte weder gehört noch gesehen, wie Covington sich bewegt hatte. So schnell, wie er hinter mir aufgetaucht war, musste er ein Römer sein. Meine Freunde sahen zwischen dem Dolch an meiner Kehle und den Schnittern hin und her, die immer noch auf uns zukamen. Meine Psychometrie schaltete sich ein und zeigte mir in kurzen, aufblitzenden Bildern all die Leute, die Covington mit diesem Dolch schon umgebracht hatte – und verriet mir, dass er mir dasselbe antun wollte.
»Covington?«, fragte Ajax vollkommen schockiert. »Was tust du da?«
»Was ich schon seit Jahren tue«, erklärte der Bibliothekar in selbstgefälligem, bösartigem Tonfall. »Ich arbeite einen Tod und ein Artefakt nach dem anderen am Sturz des erbärmlichen Pantheons.«
»Was meinen Sie damit?«, fragte ich.
Er lachte mir ins Ohr, und das Geräusch ließ mich mehr frösteln als die kalte Luft um uns herum. »Was glaubst du, wer den Schnittern dabei geholfen hat, in letzter Zeit so viele Artefakte zu finden? Ich habe die Ressourcen der Bibliothek genutzt, um die Gegenstände aufzuspüren, die wir brauchen – die Loki braucht –, um das Pantheon endlich zu schlagen und den zweiten Chaoskrieg zu gewinnen. Doch wieder und wieder sind du und deine kleinen Freunde ihnen zuvorgekommen. Du hast bereits Sigyns Bogen, Ruslans Schwerter und das Horn von Roland, und fast hättet ihr verhindert, dass Agrona die Apate-Juwelen bekommt. Wie machst du das? Woher weißt du so viel über Artefakte?«
Ich antwortete ihm nicht, aber mein Blick suchte Olivers. Ich wusste einfach, dass er dasselbe dachte wie ich – an die Zeichnung, die er für mich von all den Artefakten, Menschen und Kreaturen angefertigt hatte, die Nike mir gezeigt hatte. Die Zeichnung, die momentan in meinem Rucksack lag. Noch etwas, das den Schnittern auf keinen Fall in die Hände fallen durfte.
»Sag es mir!«, schrie Covington und presste den Dolch fester an meine Kehle.
Ich verzog das Gesicht, als die Klinge meine Haut anritzte, doch ich antwortete ihm nicht. Ich würde ihm nichts von der Zeichnung erzählen oder davon, dass ich wusste, wie viele andere Artefakte es noch gab – Artefakte, die vielleicht den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage im drohenden Chaoskrieg ausmachen würden. Ich würde ihm nichts sagen – absolut gar nichts.
Mir blieb auch gar keine Zeit für eine Antwort, denn Rachel trat mit entsetzter Miene vor.
»Rebecca … Tyson … Du hast behauptet, sie hätten dich angegriffen. Dass sie versucht hätten, Artefakte aus der Bibliothek zu stehlen. Du hast erklärt, sie hätten diese Schüler ermordet und du hättest keine andere Wahl gehabt, als dich gegen sie zu verteidigen – gegen diese armen, fehlgeleiteten Schnitter . So hast du sie genannt.«
»Sie waren Narren«, höhnte Covington. »Sie hatten zugestimmt, in die Bibliothek der Altertümer einzubrechen und Artefakte zu stehlen, damit es wie ein missglückter Schnitterangriff aussah und der Verdacht nicht auf mich fallen würde. Doch im letzten Moment haben sie ihre Meinung geändert und stattdessen versucht, mich aufzuhalten.«
Rory trat neben Rachel.
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