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Frostnacht

Frostnacht

Titel: Frostnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Estep
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meine linke Hand war frei. Langsam – ganz, ganz langsam – hob ich die freie Hand zu der des Bibliothekars.
    »Halt still, oder ich schneide dir die Kehle durch.«
    Ich erstarrte, die Hand ungefähr auf Höhe meiner Hüfte. Wenn ich mich jetzt noch mal bewegte, würde er seine Drohung wahrmachen. Frust breitete sich in mir aus. Irgendwie musste ich dafür sorgen, dass meine Haut seine berührte. So funktionierte meine Magie. Dann erkannte ich, dass es noch einen anderen Weg gab, meine Gypsygabe gegen den Bibliothekar einzusetzen – indem ich ihn dazu brachte, mich zu berühren.
    Covingtons Finger glitten über den Kragen meines Skianzuges, während er den Dolch gegen meine Kehle presste. Ich verlagerte mein Gewicht, in der Hoffnung, dass seine Finger dann über den Rand des Stoffes gleiten würden, um meinen Hals zu berühren. Doch der Winkel stimmte nicht. Es klappte nicht. Ich wurde immer frustrierter, während mein Blick zu meinen Freunden wanderte. Sie zogen sich in einen eng geschlossenen Kreis in der Mitte des Hofes zurück, während die Schnitter immer näher kamen und in Vorfreude auf den Kampf ihre Schwerter durch die Luft sausen ließen. Da verstand ich, dass mir die Zeit davonlief – und dass mir nur noch eine Möglichkeit blieb.
    Ich musste meinen Hals an der Klinge drehen. Das war ein riskanter Plan, weil ich keine Ahnung hatte, wie schlimm der Dolch mich verletzen konnte. Doch es war auch der einzige Weg, mich und meine Freunde zu retten.
    Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, dass Vivian mich mit einem Stirnrunzeln beobachtete. Plötzlich bekam ich schreckliche Kopfschmerzen, als bohrten sich Finger in mein Hirn. Vivian benutzte ihre Telepathie, um sich durch meine Gedanken zu graben. Einen Augenblick später riss sie die Augen auf. Doch sie verstand zu spät, was ich vorhatte.
    »Covington! Lass nicht zu, dass sie sich bewegt! Lass nicht zu, dass sie dich berührt …«
    Ich biss die Zähne zusammen, drehte den Kopf und versuchte nicht zu schreien, als der Dolch meine Haut aufschlitzte. Covington wich überrascht zurück, doch ich drehte, drehte, drehte mich immer weiter, obwohl der Dolch sich immer tiefer in meine Kehle grub.
    Endlich, als ich schon glaubte, ich könnte den Schmerz keinen einzigen Augenblick länger ertragen, fühlte ich die kalten Finger des Bibliothekars an meiner nackten, blutigen Haut – und dann zerrte ich an ihm.
    Covingtons Gedanken und Gefühle erfüllten in dem Moment meinen Geist, da seine Haut meine berührte.
    Die finstere Eifersucht, die jeden Teil seines Selbst erfüllte, nahm mir fast den Atem. Ein Bild nach dem anderen stieg in mir auf und zeigte mir die Vergangenheit des Bibliothekars. Ich sah ihn, wie er in der Bibliothek arbeitete und auf all die Schüler und Professoren herabsah; wie er sich mit Agrona und anderen Schnittern traf und fröhlich jede schreckliche Tat ausführte, die Agrona von ihm verlangte. In ein paar seiner Erinnerungen von Covingtons Besuchen an der Akademie in North Carolina sah ich sogar Metis, Nickamedes und Ajax. Ich fühlte seinen tiefen, brennenden Hass auf sie, besonders auf Nickamedes und die Tatsache, dass ihm die wichtigste aller Bibliotheken unterstand. Das war ein Job, den Covington immer hatte haben wollen.
    Ich blinzelte, und eine weitere Erinnerung raste durch meinen Geist – Covington, der mit zwei Leuten in schwarzen Schnitterroben diskutierte. Sie trugen keine Masken, also konnte ich ihre Gesichter erkennen – dieselben Gesichter, dieselben Leute, die ich auf den Fotos mit Rory gesehen hatte. Da wusste ich, dass ich gerade ihre Eltern beobachtete – Rebecca und Tyson.
    »Du wirst einen anderen Weg finden müssen … wir machen es nicht …«, erklang Rebeccas Stimme in meinem Kopf. »Wir sind dieses Leben leid … sind die Schnitter leid. Wir wollen einfach nur ein schönes, friedliches Leben mit unserer Tochter …«
    Tyson nickte zustimmend.
    Die beiden gingen davon, während Covington nach dem Schwert griff, das er unter dem Ausleihtresen der Bibliothek versteckt hatte. Vollkommen lautlos schlich er sich an sie heran und hob die Waffe, obwohl Rorys Eltern ihm den Rücken zuwandten …
    Der Rest der Erinnerung raste vorbei, bevor ich sie festhalten konnte, doch ich wusste ja, wie es ausging – Covington würde Rorys Eltern ermorden.
    Sofort stieg eine neue Erinnerung in mir auf – von Covington in der Bibliothek, der ein Buch nach dem nächsten wälzte und eine Seite mit Pflanzen, Kräutern und Blumen nach der

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