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Frostnacht

Frostnacht

Titel: Frostnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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interessiert, auch wenn ihm letzten Endes American Football und Baseball wichtiger waren als der Sport in Island. Dieser Mann war seinerzeit ein hoffnungsvoller Stern am isländischen Handballhimmel gewesen, er wurde ganz jung in die Nationalmannschaft aufgenommen, zog sich dann aber diese Verletzung zu und musste aufhören, als er gerade erst Anfang zwanzig war. Die Medien waren eine Zeit lang voll davon, aber dann verschwand Kjartan genauso schnell wieder von der Bildfläche, wie er dort aufgetaucht war.
    »Du glaubst also, dass es etwas mit Ausländerfeindlichkeit zu tun hat?«, fragte Sigurður Óli, während es ihm durch den Sinn ging, dass es nicht einfach gewesen sein musste, die Handballkarriere frühzeitig zu beenden. Wäre es anders gelaufen, würde er vermutlich jetzt am Ende einer glänzenden Laufbahn stehen, statt an einer Grundschule zu unterrichten.
    »Kommt irgendetwas anderes infrage?«, fragte Kjartan zurück.
    »Du hast Elías unterrichtet«, sagte Sigurður Óli.
    »Ja, in Vertretungsstunden.«
    »Was für ein Schüler war er?«
    »Ich kenne ihn überhaupt nicht. Ich habe gehört, dass er erstochen worden ist, mehr weiß ich nicht. Es hat keinen Zweck, mir Fragen zu stellen. Ich bin nicht der Hüter dieser Kinder, ich arbeite ja nicht in einem Kinderhort!«
    Sigurður Óli blickte ihn fragend an.
    »In der Klasse sind noch drei andere von seiner Sorte«, fuhr Kjartan fort. »Und mehr als dreißig in der ganzen Schule. Man nimmt es überhaupt nicht mehr wahr, wenn neue in die Schule kommen. Es wimmelt ja nur so von denen. Guck dich doch im Kolaport-Markt um, da kommst du dir vor wie in Hongkong. Kein Mensch interessiert sich dafür, niemanden schert es, was aus unserem Land wird.«
    »Ich …«
    »Findest du, dass das in Ordnung ist?«
    »Darum geht es nicht«, sagte Sigurður Óli.
    »Ich kann dir nicht weiterhelfen«, sagte Kjartan und machte Anstalten, die Tür zu schließen.
    »Findest du es zu viel verlangt, ein paar Fragen zu beantworten?«, sagte Sigurður Óli. »Wir können das allerdings auch im Dezernat erledigen, wenn dir das lieber ist. Dort haben wir auch mehr Ruhe.«
    »Komm mir bloß nicht mit Drohungen«, entgegnete Kjartan, ohne sich einschüchtern zu lassen. »Ich sag dir doch, ich weiß gar nichts über diese Angelegenheit.«
    »Er hat vielleicht Angst vor dir gehabt«, sagte Sigurður Óli. »Du scheinst ihm nicht gerade wohlgesonnen gewesen zu sein. Oder anderen Kindern, die du unterrichtest.«
    »He, ich habe dem Jungen nichts getan«, erklärte Kjartan. »Ich pass nicht auf, was die Kinder nach der Schule machen, das liegt nicht in meiner Verantwortung.«
    »Falls sich herausstellt, dass du ihm in irgendeiner Form gedroht hast, weil du ihn nicht als Isländer akzeptiert hast, werden wir uns demnächst etwas intensiver miteinander unterhalten müssen.«
    »Mannomann, da krieg ich ja richtig Schiss«, sagte Kjartan. »Lass mich in Frieden! Ich weiß nicht, was mit dem Jungen passiert ist, und es geht mich auch nichts an.«
    »Was für eine Auseinandersetzung war das zwischen dir und deinem Kollegen Finnur?«, fragte Sigurður Óli.
    »Auseinandersetzung?«, echote Kjartan.
    »Im Lehrerzimmer«, sagte Sigurður Óli. »Was ist da vorgefallen?«
    »Das war keine Auseinandersetzung«, behauptete Kjartan. »Wir sind ein bisschen aneinandergeraten. Er ist einer von denen, die das alles in Ordnung finden, je mehr Ausländer ins Land strömen, desto besser. Der gibt nichts anderes von sich als das abgedroschene Geschwätz der Linken. Das habe ich ihm gesagt, und darüber hat er sich etwas aufgeregt.«
    »Findest du es in Ordnung?«, fragte Sigurður Óli.
    »Was?«
    »So über Leute zu reden? Bist du sicher, dass du den richtigen Job hast?«
    »Verdammt noch mal, was geht dich das an! Hast du etwa den richtigen Job? Dauernd bei Leuten rumzuschnüffeln, die dich nichts angehen?«
    »Vielleicht nicht«, erwiderte Sigurður Óli. »Hast du nicht mal Handball gespielt?«, fragte er. »Warst du nicht mal ein Ass?«
    Kjartan zögerte einen Augenblick. Er schien etwas sagen zu wollen, etwas Beleidigendes, um zu zeigen, wie egal es ihm war, was Sigurður Óli zu ihm sagte oder über ihn dachte. Ihm fiel aber nichts ein, und deswegen schlug er Sigurður Óli schweigend die Tür vor der Nase zu.
    »Du wärst ein super Vorbild geworden«, sagte Sigurður Óli zur Tür.
    Später am Abend kehrte Erlendur zu Sunees Wohnblock zurück. Die Suche nach Niran war erfolglos gewesen. Sunee und ihr Bruder

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