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Frostnacht

Frostnacht

Titel: Frostnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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keine Anzeichen von Furcht an ihm festgestellt. Er hat nichts zu mir gesagt, sondern war genau wie immer. Hier ist ja auch nie zuvor etwas Derartiges passiert, niemals. Ich begreife nicht, warum jemand Elías überfallen haben könnte, ich begreife es einfach nicht. Es ist ungeheuerlich.«
    »Du kennst Kjartan, den Isländischlehrer an eurer Schule?«
    »Ja.«
    »Er hat ganz eigene Ansichten über Zuwanderer.«
    »Ja, das ist sehr milde ausgedrückt.«
    »Bist du mit diesen Ansichten einverstanden?«
    »Ich? Nein. Meines Erachtens tickt er nicht richtig. Er …«
    »Was?«
    »Er ist etwas verbittert«, sagte Vilhjálmur. »Hast du schon mit ihm geredet?«
    »Nein.«
    »Eine ehemalige Sportkanone«, erklärte Vilhjálmur. »Ich kann mich genau an ihn als Handballer erinnern, er war verdammt gut. Und dann ist irgendetwas vorgefallen, er verletzte sich schlimm und musste aufhören. Damals wollte er Profi werden und war kurz davor, nach Spanien zu gehen. Ich glaube, das sitzt immer noch tief in ihm. Er ist kein sympathischer Mensch.«
    Aus den Umkleidekabinen der Jungen hörte man lautes Geschrei. Vilhjálmur setzte sich in Bewegung, um für Ordnung zu sorgen.
    »Ihr wisst noch gar nicht, was passiert ist?«, fragte er.
    »Noch nicht«, sagte Sigurður Óli.
    »Hoffentlich erwischt ihr diesen Dreckskerl. Das hat wohl was mit Rassismus zu tun?«
    »Wir wissen noch gar nichts.«
    Die Ehefrau des Isländischlehrers Kjartan war über dreißig und etwas jünger als Kjartan. Sie machte einen ungepflegten Eindruck und sah in ihrer Jogginghose aus irgendeinem Grund unvorteilhafter aus als nötig. Hinter ihr standen zwei Kinder. Sigurður Óli spähte an ihnen vorbei in die dunkle Wohnung. Die Eheleute schienen nicht sonderlich auf Ordnung bedacht zu sein. Er musste unwillkürlich an seine eigene Wohnung denken, wo alles immer superaufgeräumt und sauber war, und er freute sich innerlich darüber, während er draußen in der Kälte stand und dem Wind ausgesetzt war. Die Wohnung befand sich im Souterrain eines Vierfamilienhauses.
    Die Frau rief nach ihrem Mann, der zur Tür kam, ebenfalls in einer Jogginghose. Dazu trug er ein Unterhemd, unter dem sich deutlich der Ansatz eines Bierbauchs abzeichnete, weil es mindestens zwei Nummern zu klein zu sein schien. Er schien es damit bewenden zu lassen, sich einmal pro Woche zu rasieren. Er sah verbittert aus, was Sigurður Óli nicht so recht einzuschätzen vermochte, aber da war auch etwas um die Augen, was deutlich Ablehnung und Wut verriet. Diese Miene und dieses Gesicht kamen ihm bekannt vor, und er erinnerte sich an das, was Vilhjálmur über einen gefallenen Stern am Sporthimmel gesagt hatte. Von der Vergangenheit gezeichnet, hätte Erlendur gesagt. Er gab manchmal Dinge von sich, die Sigurður Óli unerträglich fand, weil er sie nicht verstand, etwas aus diesen alten Dokumentarberichten, die das Einzige waren, wofür Erlendur Interesse aufbrachte. Zwischen ihnen lagen Welten, was das Denken betraf. Während Erlendur sich in seiner Freizeit in isländische Geschichte oder Dichtung vertiefte, saß Sigurður Óli vor dem Fernseher und sah sich amerikanische Krimis an, vor sich eine Schüssel Popcorn und eine Coladose. Als er bei der Kriminalpolizei begann, waren solche Serien sein Vorbild gewesen. Er war nicht der Einzige, der davon überzeugt war, dass die Polizei sich ein besseres Image schaffen müsse. Immer noch traten Neuanwärter ihren Dienst bei der Polizei an, die wie amerikanische Fernsehcops gekleidet waren, in Jeans und mit der Baseballmütze verkehrt herum auf dem Kopf.
    »Ist es wegen des Jungen?«, fragte Kjartan, machte aber keine Anstalten, Sigurður Óli aus der Kälte ins Haus zu bitten.
    »Wegen Elías, ja.«
    »Meines Erachtens war so etwas nur eine Frage der Zeit«, erklärte Kjartan, und in seiner Stimme schwang Ungeduld mit. »Solche Leute sollte man gar nicht erst ins Land lassen«, fuhr er fort. »Daraus kann nur Unfrieden entstehen. Es musste früher oder später zu so etwas kommen, ob es nun diesen Jungen in dieser Schule und in diesem Viertel erwischt oder einen anderen zu einem anderen Zeitpunkt, das tut gar nichts zur Sache. Es wäre geschehen, und es wird auch wieder geschehen, so viel steht fest.«
    Bei Kjartans Anblick, der breitbeinig vor ihm stand, die eine Hand am Türrahmen und die andere an der Tür, erinnerte sich Sigurður Óli immer deutlicher an das, was damals mit Kjartan geschehen war. Sigurður Óli hatte sich schon immer sehr für Sport

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