Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frostnacht

Frostnacht

Titel: Frostnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
Vom Netzwerk:
nicht weggeworfen, und Erlendur überlegte, wieso er sie behielt. Sie waren Requisiten in einem Lügengespinst gewesen, für die es keinen Bedarf mehr gab. Es sei denn, er spann die Lüge weiter und erzählte jedem, der es wissen wollte, dass er die Preise gewonnen habe. Vielleicht bewahrte er sie aber auch zur Erinnerung an einen gelungenen Seitensprung auf. Wenn er imstande war, seine Ehefrau zu belügen und vorgetäuschte Erfolge auf Siegestrophäen eingravieren zu lassen, gab es dann irgendwelche Grenzen für Lug und Trug?
    Mit dieser Frage hatte Erlendur gerungen, seitdem er sich mit dem Fall befasste. Was zunächst als Eskapade und Abwechslung im Leben begonnen hatte oder vielleicht sogar als blinde Leidenschaft, hatte tragisch geendet.
    Erlendur schreckte aus seinen Gedanken hoch, als an die Seitenscheibe geklopft wurde. Die Scheiben waren von innen so beschlagen, dass er Elínborg erst erkannte, nachdem er die Autotür geöffnet hatte.
    »Ich muss so langsam nach Hause«, sagte sie.
    »Setz dich einen Augenblick zu mir«, sagte Erlendur.
    »Was für ein Wahnsinn«, erklärte sie, ging vorne um das Auto herum und setzte sich auf den Beifahrersitz. »Was machst du hier eigentlich ganz allein im Auto?«, fragte sie nach längerem Schweigen.
    »Ich habe über die verschwundene Frau nachgedacht«, sagte Erlendur.
    »Du weißt, dass sie sich umgebracht hat«, sagte Elínborg. »Die Leiche wird auftauchen. Die treibt bestimmt im nächsten Frühjahr irgendwo an der Küste von Reykjanes an. Sie ist seit mehr als drei Wochen verschollen. Niemand weiß, wo sie sein könnte. Niemand versteckt sie. Sie hat sich mit niemandem in Verbindung gesetzt. Sie hatte kein Geld dabei, und wir haben festgestellt, dass sie ihre Karte seitdem nicht mehr benutzt hat. Sie ist mit Sicherheit nicht außer Landes gegangen. Die einzigen Spuren, die wir haben, führen ins Meer.«
    Elínborg zögerte einen Moment. »Es sei denn, du glaubst, dass der neue Ehemann sie ermordet hat.«
    »Er hat sich Trophäen für angebliche Siege anfertigen lassen, die komplett erfunden waren«, sagte Erlendur. »Er wusste, dass seine Exfrau sich nicht für Golf interessierte und nie die Sportnachrichten las oder sich mit anderen über Golf unterhielt. Das hat sie mir selber gesagt. Er hat auch niemand anderem die Pokale gezeigt, nur ihr, denn es ging ihm darum, einen plausiblen Grund für seine Abwesenheit zu haben. Erst nach der Scheidung hat er sie auch anderen gezeigt und damit angegeben. Wenn das nicht moralisch völlig inakzeptabel ist …«
    »Du konzentrierst dich also jetzt auf ihn?«
    »Es läuft alles immer wieder auf dasselbe hinaus«, antwortete Erlendur.
    »Vermisstenmeldungen und Verbrechen«, sagte Elínborg, die Erlendur oft darüber reden gehört hatte, dass spurloses Verschwinden ein »speziell isländisches Verbrechen« sei. Seine Theorie beruhte darauf, dass man in Island nicht viel Aufhebens davon machte, wenn Menschen verschwanden. In den allermeisten Fällen war man davon überzeugt, dass es ganz »natürliche« Erklärungen dafür gab in einem Land, wo die Selbstmordrate relativ hoch ist. Erlendur ging aber noch weiter und führte die Gleichgültigkeit gegenüber Vermisstenfällen auf die Mentalität der Isländer zurück, die über Jahrhunderte hinweg mit dem unbarmherzigen Wetter auf der Insel leben mussten. Dabei waren immer wieder Menschen zu Tode gekommen oder einfach verschwunden, als seien sie vom Erdboden verschluckt worden. Niemand kannte solche Geschichten von Menschen, die spurlos verschwunden waren, besser als Erlendur. Seine Theorie war, dass es im Schutze dieser gleichgültigen Einstellung gegenüber Vermisstenfällen ein Leichtes war, ein Verbrechen zu begehen. Bei Besprechungen mit Elínborg und Sigurður Óli und anderen Kollegen hatte er oft versucht, das Verschwinden der Frau mit seiner Theorie in Einklang zu bringen, war aber auf taube Ohren gestoßen.
    »Geh nach Hause«, sagte Erlendur, »und kümmere dich um deine Tochter. Ist Sunee wieder da?«
    »Ja, sie sind vorhin zurückgekommen«, antwortete Elínborg. »Óðinn war auch dabei, aber ich glaube, er ist wieder gegangen. Niran haben sie nicht gefunden. O Gott, ich hoffe bloß, dass ihm nichts zugestoßen ist.«
    »Ich denke, dass er wieder auftauchen wird«, sagte Erlendur.
    »Du und deine Theorien über verschollene Personen«, sagte Elínborg und öffnete die Tür. »Hast du derzeit irgendeine Verbindung zu deiner Tochter?«
    »Sieh zu, dass du nach Hause

Weitere Kostenlose Bücher