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Frostnacht

Frostnacht

Titel: Frostnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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so ein Bullenabzeichen?«, fragte Gummi. »Kann ich das mal sehen?«
    »So ein Abzeichen habe ich nicht«, sagte Erlendur, »wahrscheinlich meinst du so ein Ding, wie es die Bullen in Kinofilmen tragen. Aber das sind ja auch keine richtigen Bullen, sondern nur irgendwelche blöden Schauspieler.« Gummi starrte Erlendur an, als hätte er für einen Augenblick das Gehör verloren.
    »Was ist vorgestern zwischen dir und Niran vorgefallen?«, fragte Erlendur.
    »Was hat das mit …«, begann Gummi, und das Misstrauen, das in seinen Augen zu lesen war, schwang auch in seiner Stimme mit.
    »Pure Neugierde«, unterbrach Erlendur ihn. »Es ist gar nicht so wichtig, mach dir darüber keine Gedanken.«
    Gummi zögerte immer noch.
    »Er hat mich angegriffen«, sagte er schließlich.
    »Und warum?«
    »Weiß ich doch nicht.«
    »Hat er auch noch andere angegriffen außer dir?«
    »Ich weiß nicht. Er ist auf einmal auf mich losgegangen.«
    »Weshalb?«
    »Keine Ahnung«, wiederholte Gummi.
    Erlendur überlegte. Er stand auf und warf einen Blick über die Trennwand, dann setzte er sich wieder. Er durfte nicht zu viel Zeit mit Gummi vertun.
    »Weißt du, was mit Jungs passiert, die die Polizei anlügen?«, sagte er.
    »Ich lüg doch gar nicht«, sagte Gummi, dessen Augen sich weiteten.
    »Wir rufen sofort bei den Eltern an und und sagen ihnen, was Sache ist, dass ihr Kind versucht hat, die Polizei anzulügen, und dann müssen alle ins Dezernat kommen, wo sie verhört werden. Dann wird das Weitere entschieden. Wir können dich also, wenn du nach der Schule freihast, mit deinem Papa und deiner Mama abholen und …«
    »Er ist total ausgerastet, als ich das gesagt habe.«
    »Was hast du gesagt?«
    Gummi zögerte wieder, schien sich dann aber einen Ruck zu geben.
    »Dass er braun wie Kacke ist. Er hat aber noch viel Schlimmeres zu mir gesagt«, fügte Gummi rasch hinzu.
    Erlendur zog eine Grimasse. »Und da wunderst du dich, dass er über dich hergefallen ist?«
    »Er ist ein Blödmann!«
    »Und du bist das nicht?«
    »Die lassen einen nie in Ruhe.«
    »Die?«
    »Seine Freunde, die sind auch aus Thailand oder von den Philippinen. Die hängen da bei der Apotheke rum.«
    Erlendur erinnerte sich an das, was Elínborg über ein paar Jungen bei der Apotheke gesagt hatte, als sie gestern Abend im Auto den Stand der Dinge durchgingen.
    »Ist das eine Bande?«
    Gummi zögerte. Erlendur wartete ab. Er wusste, dass Gummi jetzt scharf darüber nachdachte, ob er erzählen sollte, was genau passiert war, um so Erlendur ihm gewogen zu machen. Oder ob er so tun sollte, als wüsste er von nichts, und nur mit Nein antworten sollte und hoffen, dass sich der Kripo-Mann damit zufriedengeben würde.
    »So war das nicht«, sagte Gummi schließlich. »Die haben angefangen.«
    »Womit?«
    »Uns anzumachen.«
    »Euch anzumachen?«
    »Die glauben, die sind was Besseres als wir. Dass sie was Besonderes sind. Besser als wir Isländer. Weil sie aus Thailand oder Vietnam oder von den Philippinen kommen. Die sagen, dass da alles viel besser ist als hier, viel toller.«
    »Und ihr prügelt euch?«
    Gummi gab ihm keine Antwort, sondern sah zu Boden.
    »Weißt du, was mit Nirans Bruder Elías passiert ist?«, fragte Erlendur.
    »Nein«, sagte Gummi immer noch mit gesenktem Blick. »Er war nicht bei denen.«
    »Und was sagst du deinen Eltern, woher du die Schrammen im Gesicht hast?«
    Gummi blickte hoch.
    »Das ist denen doch scheißegal.«
    Elínborg und Sigurður Óli erschienen auf einmal auf dem Gang, und Erlendur gab Gummi ein Zeichen, dass er gehen könne. Sie sahen zu, wie er die Tür zum Klassenzimmer hinter sich schloss.
    »Hat’s was gebracht?«, fragte Erlendur.
    »Gar nichts«, antwortete Elínborg. »Ein Kind, mit dem ich gesprochen habe, sagte allerdings, dass dieser Kjartan, der Isländischlehrer, ›mega-ätzend‹ wäre. Es hörte sich so an, als habe er die Schüler genervt, aber ich habe nicht herausgekriegt, was genau es war.«
    »Bei mir war alles
honky-dory
«, erklärte Sigurður Óli.
    »›Honky-dory?‹«, knurrte Erlendur. »Musst du dich immer so bescheuert ausdrücken?«
    »Was …?«
    »
Honky-dory
ist hier gar nichts!«
    Aus jedem Krankenzimmer hörte man in regelmäßigen Abständen das Piepen von Armaturen, aber es war still in dem Zimmer, in dem Marian Briem lag. Erlendur stand am Fußende des Betts. Marian schien zu schlafen. Das Gesicht war nur noch Haut und Knochen, die Augen waren tief eingesunken. Die Hände lagen auf dem

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