Frostnacht
Hämmern an der Tür hatte er nicht reagiert. Als die Tür aufgebrochen wurde, schlug den Polizisten zunächst nur ein entsetzlicher Mief aus der völlig verdreckten Wohnung entgegen. Die Tür war mit zwei Extraschlössern gesichert gewesen, und Andrés hatte sich unter seinem Bett versteckt, wo ihn die Polizisten widerstrebend hervorzogen, während er um Hilfe schrie. Er wehrte sich aus Leibeskräften und hatte offensichtlich keine Vorstellung, dass er sich in Polizeigewahrsam befand, sondern schien sich mit einem imaginären Feind herumzuschlagen, den er flehentlich um Schonung bat.
»Kann sein, dass ich ihn irgendwann mal gesehen habe, aber ich kenne ihn überhaupt nicht«, sagte Andrés. »Ich habe ihm nichts getan.«
Seine Blicke irrten unstet zwischen Erlendur und Sigurður Óli hin und her, als sei er gezwungen, eine Entscheidung zu treffen, und schwanke noch. Vielleicht glaubte er, sich herauslavieren zu können. Sigurður Óli wollte etwas sagen, aber Erlendur stieß ihn an und bedeutete ihm zu schweigen. Das schien Andrés zu gefallen.
»Würdet ihr mich in Ruhe lassen, wenn …?«, sagte er schließlich.
»Wenn was?«, sagte Erlendur.
»Lasst ihr mich dann nach Hause gehen?«
»Deine Wohnung war vollgestopft mit Kinderpornos«, sagte Sigurður Óli, dem man seinen Abscheu anhören konnte. Erlendur hatte ihm mehr als einmal eingeschärft, sich zusammenzureißen und Straftäter emotionslos zu behandeln. Nichts nervte Sigurður aber mehr als Rückfalltäter wie Andrés.
»Wenn was?«, wiederholte Erlendur.
»Wenn ich euch was sage.«
»Ich habe dir gesagt, dass du hier keine Zicken machen sollst«, sagte Erlendur. »Sag gefälligst, was du sagen willst, und mach nicht ewig Ausflüchte.«
»Er ist vor ungefähr einem Jahr in das Viertel gezogen.«
»Elías ist im letzten Frühjahr umgezogen, das hab ich doch gesagt.«
»Ich rede nicht von dem Jungen«, sagte Andrés und sah wieder von einem zum anderen.
»Von wem denn?«
»Der Typ ist gealtert. Das war das Erste, was ich bemerkt habe.«
»Von wem redest du eigentlich?«, stieß Sigurður Óli hervor.
»Von einem Mann, der bestimmt mehr Pornos in seinem Besitz hat als ich«, erklärte Andrés.
Sigurður Óli und Erlendur sahen einander an.
»Ich hab nie jemanden umgebracht«, sagte Andrés. »Das weißt du, Erlendur, du musst mir glauben. Ich hab nie jemanden umgebracht.«
»Hör auf, mich zu deinem Vertrauten zu machen.«
»Ich hab nie jemanden umgebracht«, wiederholte Andrés. Erlendur sah ihn schweigend an.
»Ich hab niemanden umgebracht«, sagte Andrés wieder.
»Du bringst alles um, was du anrührst.«
»Über was für einen Mann redest du?«, fragte Sigurður Óli. »Wer ist da in das Viertel gezogen?«
Andrés ging gar nicht auf ihn ein, sondern starrte weiterhin Erlendur an.
»Was für ein Mann ist das, Andrés?«, fragte Erlendur.
Andrés lehnte sich vor und drehte den Kopf ein wenig wie ein altes Mütterchen, das ein Kind freundlich begrüßt.
»Er ist ein Albtraum, den ich nie loswerde.«
Zwölf
Elínborg wartete darauf, mit Elías’ früherer Klassenlehrerin zu sprechen, die die Brüder unterrichtet hatte, als sie noch an der Snorrabraut lebten und dort zur Schule gingen. Man teilte Elínborg mit, dass die Konferenz bald zu Ende sei. Sie setzte sich neben der Tür des Lehrerzimmers auf einen Stuhl, um zu warten. Ihre Gedanken kreisten um ihre jüngste Tochter, die immer noch mit einer Grippe im Bett lag. Elínborgs Mann konnte tagsüber eine Zeit lang bei ihr sein, später am Tag würde sie ihn zu Hause ablösen.
Die Tür zum Lehrerzimmer ging auf, und eine Frau mittleren Alters kam heraus und begrüßte sie. Man hatte ihr in der Konferenz die Nachricht übermittelt, dass die Kriminalpolizei sie sprechen wolle. Elínborg gab ihr die Hand, stellte sich vor und sagte ihr, um was es ging, nämlich um den Mord an Elías, von dem sie bestimmt gehört habe. Die Frau nickte bekümmert.
»Wir haben auf der Konferenz auch darüber gesprochen«, sagte sie leise. »Es fehlen einem die Worte für so etwas … für so eine Untat. Wer ist zu so etwas fähig? Wer ist imstande, über ein Kind herzufallen?«
»Wir werden es herausfinden«, sagte Elínborg und schaute sich nach einem Ort um, wo sie sich in Ruhe unterhalten konnten.
Die Frau, die Emilía hieß, war von kleiner und zarter Statur. Ihr dunkles, bereits leicht ergrautes Haar hatte sie im Nacken zusammengebunden. Sie schlug vor, dass sie sich in ihr Klassenzimmer setzten,
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