Frozen Time (German Edition)
etwas Gutes.« Robin zeigt auf Milo in seinem blauen Kittel. »Ab sofort haben wir einen Medi unter uns.«
Grummeln und Stühlescharren folgen auf Robins Rede, noch immer mustern uns die fünf Leute am Tisch mit mehr oder minder offener Ablehnung, in den Augen des Kindes meine ich sogar Angst zu lesen. Aber niemand widerspricht Robin. Unwillig schüttelt er den Kopf, und ich bin erstaunt, dass die anderen, die doch zum Teil deutlich älter sind, auf ihn zu hören scheinen.
»Kommt erst mal mit«, sagt Robin in unsere Richtung. »Nebenan können wir ungestörter reden.« Ohne auf eine Antwort zu warten, führt er uns durch einen offenen Durchgang in einen kleineren Nebenraum. Auch hier gibt es jede Menge Möbel, aber es dauert einen Moment, bis ich begreife, dass wir uns in einer altertümlichen Küche befinden. Die Kochzeile zieht sich über eine der Seitenwände, an der anderen Wand steht ein dunkler Vitrinenschrank, auf dem sich verschiedenstes Geschirr stapelt, auf einem Regal daneben entdecke ich einen großen Behälter mit einer klaren Flüssigkeit.
»Möchtet ihr etwas trinken?«, fragt Robin und weist auf einen Tisch, um den mehrere Stühle stehen. Wir nicken, setzen uns und inzwischen hat Robin bereits drei Gläser mit der klaren Flüssigkeit gefüllt. Er reicht jedem von uns eines und lässt sich selbst auf einen der Stühle fallen.
In den Gläsern befindet sich Wasser, erkenne ich, als ich meines an die Lippen führe. Reines, klares Wasser.
Wasser ist gesund. Es geht uns gut.
Meine Brust schnürt sich zu, sodass ich kaum in der Lage bin, das Wasser zu schlucken. Es schmeckt frisch, aber hinterlässt trotzdem einen faden Geschmack in meinem Mund, und es hat nicht die angenehme Wirkung auf mich, die ich sonst von Wasser kenne.
»Wie ist das möglich?« Milo dreht sein Glas in der Hand hin und her, betrachtet das Wasser, dann reißt er sich ruckartig von dem Anblick los. »Warum habt ihr Wasser? Strom? All diese Dinge?« Er nickt mit dem Kinn in Richtung der Möbel und des Geschirrs. »Warum habt ihr euch hier unten verkrochen? Und warum lassen sie euch das durchgehen?«
»Ich werde es euch erklären«, sagt Robin. »Aber ihr müsst ein bisschen geduldig sein und einfach zuhören, okay?« Wir nicken zustimmend.
»Du bist Medi«, beginnt Robin und weist mit der geöffneten Hand auf Milos Kittel. »Dann weißt du sicher, welche Aufgaben die Medis in unserer Gesellschaft haben.« Er gibt Milo keine Chance auf eine Antwort, sondern redet sofort weiter. »Sie sollen heilen. Sie sollen dafür sorgen, dass alle Bürger ein gesundes, langes Leben führen können. Sie sollen dafür sorgen, dass es uns gut geht, nicht wahr?« Es ist klar, dass auch diese Frage rein rhetorisch ist. Natürlich ist es richtig, was Robin aufgezählt hat,doch so wie er es gesagt hat, klingt es nicht, als würde er daran glauben.
»Soll ich euch sagen, was sie mit mir getan haben?«, fährt er fort, er lacht heiser, aber nicht fröhlich. »Sie haben mich vollgepumpt mit irgendwelchen Medikamenten, um sie zu testen, bis ich nicht mehr wusste, wer ich bin. Teilnahme an medizinischen Forschungsprojekten nennen sie das. Wichtige Aufgabe, große Ehre, sagen sie. Und vergessen zu erwähnen, dass man am Ende blöd davon wird, wenn man’s überhaupt überlebt.« Er schluckt und atmet tief durch.
Ich kann mich kaum zwingen, bei Robins Worten ruhig sitzen zu bleiben.
Lüge, Lüge!
Das Wort hämmert in meinem Kopf. Aber gleichzeitig weiß ich, dass es wahr ist, was Robin sagt. Keine Ahnung, woher ich das weiß. Vielleicht ist es nur eine Ahnung, dass ein System, in dem ein sechzehnjähriges Mädchen einer Gehirnwäsche unterzogen werden soll, ohne zu ahnen, warum, auch in der Lage ist, junge Menschen für Medikamententests zu benutzen. Milos Hände ballen sich zu Fäusten, sein Kiefer wird hart, es fällt ihm sichtlich schwer, sich zu beherrschen, als Robin weitererzählt.
»In einem klaren Moment bin ich abgehauen. Ich weiß nicht mehr, wie ich es geschafft habe, aus dem Forschungslabor herauszukommen. Ich weiß nicht einmal mehr genau, wie ich hier gelandet bin. Aber ich war nicht der Erste und auch nicht der Letzte. Nach und nach kamen immer mehr, die nicht mehr bereit waren, in dieser Gesellschaft zu leben, oder die es schlicht nicht mehr konnten, weil sie sich mit ihr angelegt hatten.«
Robin steht auf, geht zu dem Wasserbehälter und füllt sein Glas erneut. Wieder trinkt er es in einem langen Zug leer. Dannkommt er zu uns zurück und
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