Frozen Time (German Edition)
»Warum hilfst du uns eigentlich?«, will ich wissen.
»Ich helfe gern«, sagt Robin lapidar, merkt aber sofort, dass mir die Erklärung nicht ausreicht. »Kennt ihr die Geschichte von Robin Hood?«, fragt er und beantwortet sich die Frage gleich selbst: »Nein, natürlich nicht. Das ist keins der alten Werke, die im zentralen Media-Archiv abgelegt wurden! Also,hört zu.« Er lehnt sich in seinem Stuhl zurück. »Als ich hier unten ankam, lebte hier ein Mann namens Leonard. Er war schon alt, weit über neunzig, und das hier war einmal seine Wohnung gewesen, vor der Großen Epidemie und vor der Gründung der neuen Gesellschaft. Als damals die Pocken ausbrachen, infizierte Leonard sich aus irgendeinem Grund nicht damit und nach der Staatsgründung verbarg er sich in dieser Wohnung.«
»Was?«, frage ich ungläubig. »Er hat sein ganzes Leben hier unten verbracht?« Auch wenn neunzig Jahre in unserer Gesellschaft für einen Senior kein allzu hohes Alter sind, kommt es mir verrückt vor, dass dieser Mann diese gesamte Lebenszeit unter der Erde verbracht haben soll.
Robin nickt so heftig, dass seine roten Locken fliegen. »Das hat er. Und wenn Menschen zu ihm kamen, Menschen wie ich und ihr, dann hat er sie aufgenommen.«
»Aber warum?«, verlangt Milo zu wissen.
»Das habe ich ihn irgendwann auch gefragt«, erzählt Robin weiter. »Und da hat er mir dieses Buch gegeben: ›Robin Hood‹. Robin Hood war ein Held lange vor unserer Zeit, ein Ausgestoßener der Gesellschaft, und er versammelte andere Ausgestoßene um sich. Er nahm von den Reichen und gab alles den Armen. Ich weiß, dass arm und reich in unserer Gesellschaft keine Rolle mehr spielen«, fügt er schnell hinzu, bevor wir ihn unterbrechen können. »Aber das Problem ist noch immer das gleiche: Es gibt Menschen, die in diesem System da oben nicht leben können.« Er deutet mit dem Daumen zur Decke. »Und die finden hier eine neue Bleibe. Ich fürchte, wir können nicht so viel bewirken wie dieser Robin Hood, aber wir können zumindest versuchen, auf unsere Art zu überleben.«
Die Geschichte berührt mich auf eine Weise, die ich nicht für möglich gehalten hätte, denn sie passt nicht zu dem, was ich mein Leben lang über unsere Gesellschaft gelernt habe, deren höchste Güter das Glück, die Gesundheit und das lange Leben aller Bürger sind.
»Und was ist aus diesem Leonard geworden?«, frage ich.
»Er ist gestorben«, erwidert Robin. »Letztes Jahr.« Er sieht traurig aus, als er uns davon erzählt, und plötzlich begreife ich, dass dieser Mann für Robin ein Vorbild gewesen sein muss, dem er nun nachzueifern versucht. Der Namensgenerator hat gut gearbeitet, als er Robins Namen ermittelt hat, denke ich. Robin ist ein geborener Anführer, der sich für andere stark macht. Kein Wunder, dass die Abgetauchten auf ihn hören.
»Also«, unterbricht Robin das nachdenkliche Schweigen, das auf seine Worte gefolgt ist. »Werdet ihr hierbleiben oder wollt ihr euer Glück lieber woanders suchen?«
Unsicher sehe ich zu Milo, der bloß ergeben mit den Schultern zuckt.
»Ich denke, wir bleiben«, sage ich.
»Gut«, erwidert Robin. »Es gibt nur ein paar Bedingungen.«
KAPITEL 12
»Bedingung eins«, erklärt Robin. »Ihr beteiligt euch an allen hier unten anfallenden Arbeiten.«
Wir nicken, das klingt nur gerecht.
»Bedingung zwei«, fährt Robin fort. »Die Sicherheit der Abgetauchten steht an erster Stelle. Ihr seid frei zu gehen, wohin ihr wollt, aber ihr dürft niemals jemandem verraten, was ihr hier unten vorgefunden habt.«
Wir nicken wieder, auch diese Bedingung erscheint mir im Augenblick wie eine Selbstverständlichkeit.
»Damit kommen wir zu Bedingung drei«, sagt Robin und schaut dabei Milo an. »Du musst mir noch dein Insignal geben.«
»Was?« Milo zuckt zusammen. »Wieso?« Seine rechte Hand umschließt das linke Handgelenk, um das noch immer das elastische Band liegt, welches das Insignal darunter verbirgt.
»Ganz einfach«, erklärt Robin ruhig. »Die Störbänder helfen nur für kurze Zeit, dann schalten die Officer einfach auf eine andere Frequenz um und können dein Insignal wieder orten, auch hier. Und das wollen wir doch lieber vermeiden, oder?«
»Schon … « Milos Griff ums Handgelenk wird fester. Ich betrachte mein eigenes, nunmehr nacktes Handgelenk und kann Milo gut verstehen. Ohne unser Insignal sind wir nichts mehr in der Gesellschaft dort oben. Aber welche Chance haben wir mit dem Insignal? Zurückkehren können wir
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