Fruchtbarkeit - 1
diskutierte, nur mehr der verbitterte Ohnmächtige, der Modepessimist, der in seiner eignen Schlinge gefangen war, seine Existenz zerstört hatte, und nun mit seinem allmählich begründet gewordenen verbissenen Haß gegen das Leben nichts andres war, als ein Werkzeug der Verderbtheit und des Todes.
Als Mathieu eben seinen langsamen Rundgang um das Gemach vollendet hatte, trat ein hochgewachsenes, schönes blondes Mädchen von etwa fünfundzwanzig Jahren ein, die ein schwarzes Seidenkleid von eleganter Einfachheit trug. Sie stieß einen leichten Ruf der Überraschung aus und blickte suchend in die Ecken des Zimmers.
»Oh, ich dachte, die Kinder seien hier!«
Dem Besucher zulächelnd, trat sie gleichwohl ein, tat, als ob sie die Papiere auf dem Tische, der Séguin als Schreibtisch diente, zurechtrücken wolle, mit der Miene der Herrin des Hauses, die vor den Leuten ihr Recht der Überwachung und Anordnung betätigen will.
Mathieu kannte sie bereits, denn seit einem Jahre sah er sie in dieser Weise sich hier breitmachen und befehlen, während Valentine einen immer größeren Widerwillen gegen die Angelegenheiten des Haushaltes bekundete. Sie nannte sich Nora, war eine Deutsche, Erzieherin und Klavierlehrerin, und Valentine hatte sie hauptsächlich aufgenommen, um über die Kinder zu wachen, seitdem sie Céleste hatte wegschicken müssen, die trotz ihrer Durchtriebenheit wieder schwanger geworden war, die Dummheit begangen hatte, sich mit einem Briefträger zu vergessen, und diesmal so wenig Glück hatte, daß es ihr nicht einmal gelang, ihren Zustand zu verbergen. Séguin, der sich bei Gelegenheit der Verabschiedung der Zofe wieder sehr brutal gezeigt und geschrien hatte, das sei ein Skandal, seine Töchter würden demoralisiert, hatte dann selbst Nora ins Haus gebracht, eine Perle, die er, wie er scherzend sagte, einer seiner Freundinnen stahl. Und es wurde bald offenkundig, daß sie seine Geliebte war, daß er sie zweifellos nur zu dem Zwecke in sein Haus eingeführt hatte, um sie hier bequem zu besitzen, und besonders, um sie hier gefangenzuhalten; denn er schien rasend eifersüchtig auf sie zu sein, mit jener krankhaften Eifersucht, die ihn noch heute sich mit erhobenen Fäusten auf seine Frau stürzen ließ, trotzdem alle Beziehungen zwischen ihnen aufgehört hatten. Das große und schöne blonde Mädchen schien allerdings danach angetan, das ärgste Mißtrauen zu rechtfertigen, mit ihren sinnlichen Lippen, ihren Augen voll gewissenloser Unverschämtheit, ihrem albernen und bösen Lächeln, ein prächtiges schädliches Tier.
»Sie erwarten Monsieur Séguin?« sagte sie endlich. »Ich weiß, daß er sie bestellt hat, er wird sicherlich bald kommen.«
Mathieu, der sie mit Interesse beobachtete, wollte eine Probe machen. »Er ist vielleicht mit Madame Séguin ausgegangen. Ich weiß, daß sie häufig miteinander ausgehen.«
»Die!« rief sie laut, und in einer für eine Erzieherin höchst unpassenden Weise lachend, »da sind Sie schlecht unterrichtet, mein Herr! Die gehen nie denselben Weg. Ich glaube, Madame ist in der Kirche, wenn sie nicht etwa wo anders ist.« Mit spöttischer und dreister Miene fuhr sie fort, in dem Raume herumzuwirtschaften, als ob sie sich bestrebe, ein wenig Ordnung darin herzustellen, wobei sie immer wieder mit ihren Rücken an ihn streifte, in dem instinktiven Verlangen, das ihr eigen schien, sich anzubieten, sobald ein Mann mit ihr allein war.
»Ah, was für ein Haus!« fuhr sie mit halber Stimme fort, als ob sie zu sich selber spräche. »Wie verlassen er ist, der arme Herr! Es wäre alles besser, wenn Madame nicht von früh bis abends beschäftigt wäre!«
Valentine beschäftigt! Um die ganze Ironie dieses Wortes zu verstehen, mußte man wie Mathieu wissen, daß sie seit sechs Monaten nur dem einzigen Glück lebte, mit Santerre, nach bald dreijährigem Auseinandersein, wieder angeknüpft zu haben. Jetzt wagte sie es sogar, ihn im Hause ihres Mannes zu empfangen, sich mit ihm ganze Nachmittage lang in ihrem kleinen Salon einzuschließen; und von dem, was sie da miteinander taten, von dieser ernsten Beschäftigung sprach zweifellos die Erzieherin in so scherzhaftem Tone. Nachdem Santerre Valentine mit seiner schmeichelndzärtlichen Art besiegt hatte, um die Zeit, da er glaubte, ihrer für seine Erfolge als Schriftsteller zu bedürfen, hatte er sich ihrer sodann rücksichtslos mit der unbarmherzigen Brutalität eines Egoisten entledigt, als sie ihm nutzlos, ja sogar unbequem
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