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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Quelle vergiftet! Es ist die Unterschlagung, die allgemeine, vorbedachte, beharrliche, gerühmte Unterschlagung, die uns in diese vorzeitige Entkräftung verfallen läßt, und die uns ganz zu Grunde richten wird! Bedenken Sie nur, daß man nicht ungestraft ein Organ betrügt. Stellen Sie sich vor, daß man den Magen fortwährend mit Scheinnahrung füllen würde, deren unverdauliche Masse das Blut unaufhörlich herbeiriefe, ohne der Verdauungstätigkeit irgendeinen Stoff zuzuführen. Eine jede Funktion, die sich nicht in normaler Weise vollzieht, wird zur Ursache von Störungen. Man entkräftet die Frau, man befriedigt bei ihr nur die Wollust, man begnügt sich mit der Sättigung der Begierde, die nur das Lockmittel ist, ohne die Befruchtung herbeizuführen, welche der Zweck ist, die notwendige und unentbehrliche Vollbringung. Und dann wundert man sich, wenn sich in diesem getäuschten, mißhandelten, seiner Bestimmung entfremdeten Organismus furchtbare Störungen, Entartungen, Zerrüttungen ergeben! Dazu kommt, daß, wenn der Gatte unterschlagen hat, der Liebhaber natürlich noch mehr unterschlägt. Es ist ein unablässiger Ansturm. Von dem Augenblicke, da die Furcht vor dem Kinde der Begierde keine Schranken mehr auferlegt, wird der Organismus der leichtfertigen, maßlosen, erschöpfenden Lust überliefert. Ich habe Fälle von unglaublicher Gier und Roheit gesehen. Allerdings wage ich von den Menschen nicht die Weisheit der Tiere zu verlangen, die ihre Begattungszeit haben. Aber es sollte doch wenigstens das Kind nicht in so unbarmherziger Weise geächtet werden, man sollte doch wenigstens von Zeit zu Zeit eines entstehen lassen, um die unterdrückte Funktion wieder auswirken zu lassen. Wie viele durch die Praktiken der Unterschlagung gereizte, erkrankte, gebrochene Frauen habe ich dank einer Schwangerschaft sich wieder erholen gesehen! Und wie viele andre sind wieder denselben Leiden anheimgefallen, sowie sie aufs neue aufgehört haben zu leben, wie gelebt werden soll! Denn, verstehen Sie wohl, lieber Freund, darin liegt alles. Die betrogene Natur empört sich. Je mehr man unterschlägt, je verderbter man lebt, desto mehr wird der Nachwuchs geschwächt und entartet. Wir gelangen dadurch zu unsrer kostbaren modernen Nervosität, wir werden bald zum vollständigen physischen und moralischen Bankerott gelangen. Sehen Sie nur unsre Frauen an und vergleichen Sie sie mit den kraftvollen Weibern von einst. Unsre geschlechtslosen, unsteten, krankhaft sinnlichen Frauen – wir machen sie zu dem, was sie sind, mit unsern Praktiken, unsrer Kunst und unsrer Literatur, durch unser Ideal der beschränkten, dem tollen Geld und Machthunger geopferten Familie. Tod dem Kinde, und damit auch der Frau, Tod uns selbst, allem, was die Freude, das Glück, die Gesundheit ist!… Und sagen Sie mir, haben Sie je deutlicher das Ende einer Gesellschaft gefühlt, als in diesem Haufe, in diesem mit seltenen Kostbarkeiten gefüllten Räume, in diesem absterbenden Luxus? Sehen Sie hier nicht das große Drama der Zeit mit an, die Entsittlichung durch den Widerwillen gegen das Leben, durch die gewollte und gepriesene Unfruchtbarkeit? Wozu leben, wenn jedes neugeborene Wesen ein Unglücklicher mehr ist? Die Unterschlagungen haben ihr Zerstörungswerk getan, der eheliche Zank hat das Haus der Anarchie überliefert, der Mann geht rechts, die Frau links, und nun sind die drei armen Kinder in den Händen dieser Erzieherin, wachsen aufs Geratewohl auf, den schlimmsten Gefahren preisgegeben. Ach, die armen Geschöpfe, sie beklage ich besonders, ich kann nicht hierherkommen, ohne daß mir das Herz um ihretwillen weh tut!« Boutan fuhr mit leiserer Stimme fort, erzählte, wie er die kleine Andrée liebhabe, ein so hübsches und sanftes Kind, so verschieden von den andern, daß ihre Mutter oft scherzhaft ihre Amme, die Catiche, anklagte, daß sie ihr die Natur mit der Milch eines geduldigen Haustieres verändert habe, weil sie so wenig der Familie nachgeriet, immer harmlos und fröhlich blieb, sich unter den fortwährenden Quälereien ihres Bruders nie empörte. Gaston gefiel ihm gar nicht, er war brutal, beschränkten Geistes, übertrieb noch die aristokratischen Manieren seines Vaters, entwickelte noch mehr Eigensinn, mehr Herzenshärte, in der egoistischen Sicherheit seiner Uebermacht, die er nicht einmal in Frage ziehen ließ. Aber das hauptsächlichste Interesse des Arztes erregte Lucie, nun zwölf Jahre alt, ein blasses, mageres und zartes Mädchen,

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