Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
Mutter hingegangen war. Für einen Augenblick wieder aufgeblüht in ihrer Schönheit, unter der hellen Sonne, kehrte sie nun durch dieselbe abscheuliche Tür wieder in den Tod zurück. Zweimal hatte man sie ermordet. Nun war es zu Ende, sie würde nie wiederkehren. Und er, der Bejammernswerte, er erlitt die namenlose Qual, die noch kein Mensch gekannt, zweimal das geliebte Weib zu verlieren, zweimal die gräßliche Besudlung mitanzusehen, von der Flut von Schande und Verbrechen erreicht zu werden, die sein Herz mit fortriß.
    Er fiel in die Knie, er weinte ohne Unterlaß; und als Mathieu ihn aufrichten wollte, murmelte er mit leiser, kaum hörbarer Stimme:
    »Nein, nein, lassen Sie mich, alles ist zu Ende… Sie sind eine nach der andern dahingegangen, und ich allein bin der Schuldige. Einmal habe ich Reine belogen, indem ich ihr sagte, daß ihre Mutter verreist sei; und nun hat sie wieder mich belogen, indem sie mir diese Geschichte einer Einladung auf ein Schloß erzählte. Wenn ich mich vor acht Jahren der wahnwitzigen Tat meiner armen Valérie widersetzt hätte, wenn ich nicht ohnmächtig ihre Ermordung mitangesehen hätte, so wäre meine arme Reine heute nicht demselben entsetzlichen Wagnis erlegen. Es ist meine Schuld, ich, ich allein habe sie getötet! Die teuren Seelen! Wußten sie denn, was sie taten, war es nicht an mir, sie zu lieben, sie zu verteidigen, sie zu leiten und glücklich zu machen? Ich habe sie getötet, ich, ich bin ihr Mörder!«
    Er sank zusammen, er erstickte in Schluchzen, er zitterte am ganzen Körper, von Todeskälte geschüttelt.
    »Und ich Elender, ich blödsinniger Tor, weil ich sie zu sehr liebte, habe ich sie getötet! Sie waren so schön, sie hatten so viele verzeihliche Gründe, reich, fröhlich, glücklich sein zu wollen! Eine nach der andern hatten sie mir mein Herz genommen, ich habe nur in ihnen, durch sie, für sie gelebt. Als die eine nicht mehr da war, ist der andern Wille der meinige geworden, ich habe den ehrgeizigen Traum der Mutter wieder aufgenommen, in dem einzigen Wunsche, ihn für die Tochter wahr zu machen, in der all meine Liebe wieder auflebte… Und ich habe sie getötet, in dieses zweifache Verbrechen hat mich meine törichte Sucht gestürzt, zu steigen, das Glück zu besiegen, indem ich mein Bestes opferte, zuerst das arme Wesen, das, mit Gewalt vernichtet, die Mutter mit hinwegnahm, dann die Seele meiner Tochter, die, durch das Beispiel verdorben, von demselben Fieber brennend, in demselben Blutmeer verging. Oh, wenn ich denke, daß ich noch heute mittag wagte, mich glücklich zu nennen, daß ich nur diese Tochter habe, um nur sie lieben zu können! Welche wahnwitzige Blasphemie gegen das Leben, gegen die Liebe! Da liegt sie nun tot, tot gleich ihrer Mutter, und ich bin ganz allein, habe niemand mehr, den ich lieben kann, niemand mehr, der mich liebt! Weder Frau noch Kind, ohne Wunsch und ohne Willen, allein, ganz allein, für immer!«
    Es war der Aufschrei äußerster Verlassenheit, er sank auf den Fußboden hin, leer, ein Klumpen in Menschengestalt; und er hatte nur noch die Kraft, Mathieu beide Hände zu drücken, indem er stammelte:
    »Nein, nein, sagen Sie mir nichts. Sie allein hatten recht. Ich habe das Leben zurückgestoßen, und das Leben hat mir nun alles genommen.«
    Mathieu umarmte ihn weinend, blieb noch einige Minuten in der schreckenerfüllten Höhle, welche von der entsetzlichen Lebensvernichtung befleckt war, die er bis jetzt schaudernd mitangesehen hatte. Endlich ging er und ließ Sérafine zurück, die sich des armen Mannes annahm, ihn gleich einem kranken Kinde behandelte, mit dem sie nun machen konnte, was sie wollte. –
    In Chantebled fuhren Mathieu und Marianne fort zu arbeiten, zu schaffen, zu zeugen. Und während der zwei Jahre, die hingingen, waren sie abermals siegreich in dem ewigen Kampfe des Lebens gegen den Tod, durch das fortgesetzte Wachstum der Familie und der fruchtbaren Erde, das der Inhalt ihres Daseins war, ihre Freude und ihre Kraft. Die Begierde fuhr in Flammenstürmen hin, die göttliche Begierde machte sie fruchtbar, gab ihnen Kraft zu lieben, gut zu sein, gesund zu sein; und ihre Energie tat das übrige, ihre Tatfreudigkeit, die tapfere Beharrlichkeit in der nützlichen Arbeit, die die Welt aufbaut und in Ordnung hält. Aber während dieser zwei Jahre ward ihnen der Sieg nicht ohne schweren Kampf. Sie befanden sich noch immer in den schweren Anfängen ihres Werkes, sie weinten häufig vor Kummer und Schmerz. Die

Weitere Kostenlose Bücher