Fruchtbarkeit - 1
geworden war. Verzweifelt über diesen Bruch, hatte sie dann ihre Freundinnen durch ihren religiösen Eifer in Erstaunen gesetzt, mit dem sie wieder anfing, regelmäßig zu Predigt und Beichte zu gehen, wie einst bei ihrer Mutter in dem altadligen, strengkatholischen Hause der Vaugelade. Sie fühlte sich wieder von deren Blute, sie entsagte dem ungebundenen Gehaben, das sie sich in den Kreisen angeeignet hatte, die den Umgang ihres Mannes bildeten, um nunmehr eine unsinnige, übertriebene Intoleranz zur Schau zu tragen, im Namen des lieben Gottes sich einer neuen Art von Tollheit hinzugeben. Wie die Musik Wagners, so war die Religion Roms veraltet, unzeitgemäß: sie verlangte das Kommen eines blutigen Antichrist, um die Sünden der Welt hinwegzufegen. Man sagte wohl, daß sie es mit einem andern Geliebten versucht habe, aber die Tatsache war nicht bewiesen. Séguin, der die Religion lediglich als Eleganz betrachtete, hatte sich ihr geschmeichelt für eine Weile wieder genähert, die Versöhnung sogar so weit getrieben, selbst zu Predigt und Beichte zu gehen. Aber sogleich hatten die ehelichen Streitigkeiten wieder begonnen, verletzender als je, jede weitere Möglichkeit der Versöhnung ausschließend, und er war dazu gelangt, seitdem Nora ihn eifersüchtig ganz in Anspruch nahm, daran zu denken, den Frieden im Hause leidlich herzustellen, indem er Santerre, den einstigen Freund, wieder einführte, mit dem er fortwährend in seinem Klub zusammentraf. Dies wurde mit großer Leichtigkeit bewerkstelligt, denn der Romanschriftsteller hatte begonnen, sich im Erfolge zur Ruhe zu setzen und der Erkenntnis Raum zu geben, daß ihm, nachdem er aus den Frauen so viel Nutzen gezogen, als er vernünftigerweise erwarten konnte, nichts andres übrigbleibe, als sich zu verheiraten, oder sich in dem Neste eines andern einzurichten. Er scheute noch vor der Heirat zurück, ebensosehr aus theoretischen Gründen, als aus persönlichem Widerwillen. Er war, gleich Séguin, einundvierzig Jahre alt, Valentine nun bald sechsunddreißig: waren dies nicht die Alter der Rast, wo es weise war, an eines jener ernsthaften und dauerhaften Verhältnisse zu denken, welche die nachsichtige Welt toleriert? Du mein Gott, lieber diese als eine andre, da er sie gut kannte, wußte, daß sie reich war, viel in der großen Welt verkehrte, jetzt auch noch fromm geworden war – alle wünschenswerten Eigenschaften vereinigt. Und in seiner nun vollendeten Zerrüttung war das Haus in den Zustand geraten, daß der Vater mit der Erzieherin, die Mutter mit dem guten Freunde lebte, während die drei Kinder fortfuhren, sich selbst und dem Unheil überlassen, aufzuwachsen.
Plötzlich wurden durchdringende Schreie laut, und Mathieu hörte erstaunt die laufenden Schritte zweier Kinder, die alsbald zur Tür hereinstürmten. Es war Andrée, die angsterfüllt vor Gaston floh und immer wieder rief: »Nono, Nono, er will mich bei den Haaren reißen!«
Sie hatte die schönsten Haare, die man sich denken konnte; seidenweich, von aschblonder Farbe, ringelten sie sich um ihr reizendes Gesichtchen; sie war nun zehn Jahre alt, schon eine kleine Dame, fein und anmutig; während ihr Bruder, um vier Jahre älter als sie, schlank und mager wie sein Vater, ein schmales, rotes Gesicht mit scharfen Zügen und harte blaue Augen unter einer Stirn hatte, die auf < a name=“page356” title=“bela/sara” id=“page356”>unlenkbaren Starrsinn deutete. Er ergriff sie endlich und riß sie heftig an den Haaren.
»Oh. du Bösewicht! Nono, hilf mir!« schrie sie schluchzend, indem sie sich zu der Erzieherin flüchtete.
Aber diese stieß sie scheltend zurück. »Schweigen Sie doch, Andrée! Sie müssen sich immer schlagen lassen. Es ist unerträglich.«
»Ich habe ihm nichts getan, ich habe gelesen,« sagte das Kind weinend. »Da hat er mir mein Buch weggerissen und sich auf mich gestürzt. Da bin ich davongelaufen.«
»Sie ist so dumm, sie will nie spielen,« sagte Gaston gelassen, mit seinem boshaften Lächeln. »Es ist nur zu deinem Besten, wenn ich dich an den Haaren ziehe, das macht sie länger.«
Die Erzieherin lachte mit ihm, sie fand das sehr komisch. Sie gab ihm immer recht, ließ ihn als gefürchteten Tyrannen über seine beiden Schwestern herrschen, litt sogar gefällig die Possen, die er ihr selbst spielte, wie etwa ihr eine kalte Hand in den Nacken zu stecken, oder ihr plötzlich auf die Schultern zu springen.
Mathieu war von dem allen erstaunt, sogar ein wenig empört, als
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