Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
mit mattblonden Haaren und blauen, traumfeuchten Augen. Sehr frühzeitig und gegen alle Voraussicht in die Pubertät getreten, hatte sie sich krank geglaubt, war von Ekel und Entsetzen ergriffen über dieses Blut, das sie zum Weibe machte. Und seitdem er sie wiederhergestellt hatte, verfolgte und studierte er bei ihr die merkwürdigsten Erscheinungen, einen wachsenden Abscheu gegen alle sinnlichen Reizungen, eine Art frühreifen Mystizismus, dessen Schwärmerei in ihr seltsame Vorstellungen von Engeln und Jungfrauen von körperloser Reinheit und Unschuld erweckte. Alles Leben, alle Fortpflanzung, ein Ameisenhaufen, ein Bienenschwarm, ein Nest mit kleinen, noch nackten Vögelchen, stieß sie ab, flößte ihr einen Widerwillen ein, der sich bis zu förmlichem Ekel steigerte. Und er sagte scherzend, daß dieses Mädchen das richtige Kind des Pessimismus der Eltern sei, in ihrem Abscheu vor fruchtbarer, lebender und warmer Körperlichkeit.
    Jetzt kam Valentine in ihrer gewöhnlichen wirbeligen Art herein, wie immer verspätet, wie immer durch irgendein unerwartetes Geschehnis aus dem Gleichgewicht gebracht. Mit ihren sechsunddreißig Jahren verriet sie in ihrem Aeußern noch immer ihr Alter nicht, war ebenso mager, ebenso lebhaft, wie sie gewesen war, als sie Andrée bekommen hatte, mit denselben wirren blonden Löckchen, demselben kleinen feinen, knabenhaften Gesichte. Glücklicher als andre, wurde sie, wie der Doktor von ihr sagte, von der Flamme ihrer widernatürlichen Lebensweise bloß immer mehr ausgetrocknet und reduziert. »Guten Tag, Monsieur Froment, guten Tag, Doktor! Entschuldigen Sie mich, daß ich Sie habe warten lassen, lieber Doktor. Denken Sie nur, ich ging in die Madeleinkirche, um den Anfang einer Predigt des Abbé Levasseur zu hören, und dachte mir, daß ich mich später davonmachen werde, da ich Sie hierher bestellt habe. Und dann habe ich Sie ganz vergessen, so sehr hat mich der Abbé gefangengenommen, oh, aber auch ganz gefangengenommen, ohne daß ich etwas von mir zurückbehalten hätte.«
    Sie war noch ganz verzückt und sah schwärmerisch drein. Gleichwohl fand sie den Abbé lau, und warf ihm vor, daß er mit den modernen Ideen paktiere, weil er an die Möglichkeit einer Verständigung zwischen Religion und Wissenschaft zu glauben schien.
    Boutan unterbrach sie lächelnd. »Sind Ihre neuralgischen Schmerzen wiedergekehrt?«
    »O nein, nein! Ich habe Sie nicht meinetwegen hergebeten, sondern wegen Lucie, die mich wirklich zur Verzweiflung bringt. Ich verstehe das Kind gar nicht mehr. Denken Sie nur, daß sie heute früh nicht aufstehen wollte. Als man mir das meldete, bin ich zu ihr gegangen. Zuerst hat sie mir keine Antwort gegeben und sich gegen die Wand gekehrt. Dann hat sie auf alle meine Fragen nichts andres getan, als zehnmal, zwanzigmal zu wiederholen, daß sie ins Kloster gehen will, ohne irgendeine Erklärung, das Gesicht weiß wie das Bettuch, mit stieren Augen. Was halten Sie von dieser neuen Laune?«
    »Hat sich heute nacht, gestern abend, denn nichts ereignet?« fragte der Doktor.
    »Heute nacht, nein, soviel ich weiß. Gestern abend auch nicht. Der Abend ist sehr ruhig verlaufen. Ich war allein zu Hause, ich war nicht ausgegangen; und da unser Freund Santerre frühzeitig gekommen ist, um eine Tasse Tee bei mir zu trinken, so habe ich mich mit ihm in meinen kleinen Salon zurückgezogen, nachdem ich die Kinder verabschiedet hatte, damit sie uns nicht die Ohren volllärmen. Sie haben sich vermutlich zur gewohnten Zeit schlafen gelegt.«
    »Hat sie geschlafen, hat sie über nichts geklagt?«
    »Das weiß ich wirklich nicht. Es scheint ihr übrigens nichts weh zu tun. Ich glaube nicht, daß sie krank ist, denn Sie können sich wohl denken, daß ich heute nachmittag darauf verzichtet hätte, auszugehen, wenn ich im geringsten ernstlich beunruhigt gewesen wäre. Aber ich wollte Sie doch zu Rate ziehen, so bringt mich das außer mir, ein solcher Starrsinn, nicht aus dem Bett herauszuwollen. Gehen wir in ihr Zimmer, Doktor, und schellen Sie mir sie ordentlich aus, bringen Sie mir sie rasch auf die Beine.«
    Nun trat auch Séguin ein. Er hatte die letzten Worte seiner Frau gehört, und begnügte sich, Boutan stillschweigend die Hand zu drücken, der dann mit Valentine das Zimmer verließ. Hierauf entschuldigte er sich seinerseits bei Mathieu.
    »Verzeihen Sie mir, lieber Freund, daß ich Sie habe warten lassen. Ich habe ein Pferd krank, einen ausgezeichneten Renner, auf den ich große

Weitere Kostenlose Bücher