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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Herzen. Ein Mann wie Sie, das entschädigt ein wenig für die andern. Geben Sie ihm auch einen Kuß, meinem armen Kleinen, um ihm Glück zu bringen.«
    In der Rue La Boëtie wollte Mathieu, der sich in die Beauchênesche Fabrik begab, einen Wagen nehmen und bot Cécile an, sie zu ihren Eltern zu bringen, da ihn sein Weg in diese Gegend führe. Aber Cécile erwiderte ihm, daß sie erst in die Rue Caroline zu ihrer Schwester Euphrasie müsse. Da diese Straße in der Nähe war, ließ er sie gleichwohl einsteigen, indem er sagte, er werde sie an der Tür ihrer Schwester absetzen.
    Im Wagen war sie so bewegt, so glücklich, ihren Traum endlich verwirklicht zu sehen, daß sie nicht wußte, wie sie ihm danken sollte. Sie hatte Tränen in den Augen und lachte und weinte zugleich.
    »Sie müssen mich aber nicht für eine schlechte Tochter halten, Monsieur, wenn ich eine solche Freude zeige, von meinen Eltern fortzukommen. Der Vater arbeitet weiter in der Fabrik, soviel er kann, ohne großen Lohn davon zu haben. Die Mutter tut auch ihr mögliches im Hause, obgleich sie nicht mehr die Kraft hat, viel zu tun. Seit Victor vom Militär frei geworden ist, hat er sich verheiratet, er hat nun auch Kinder, und ich glaube, er wird mehr haben, als er ernähren wird, denn er scheint bei den Soldaten die Freude an der Arbeit verloren zu haben. Die Schlaueste ist noch dieser kleine Faulpelz von einer Irma, meine jüngere Schwester, die so fein und vornehm ist, vielleicht weil sie immer krank ist. Sie erinnern sich, unsre Mutter hat immer gefürchtet, daß sie schlecht wird wie Norine, nicht wahr? Nun, nicht im entferntesten, im Gegenteil, sie allein wird es zu etwas bringen, sie wird einen kleinen Postbeamten heiraten, den sie verstanden hat sterblich in sich verliebt zu machen, ohne ihm auch nur zu erlauben, ihr einen Kuß auf die Haare zu geben. So daß wir nur mehr zwei zu Hause sind, ich und Alfred. O der, das ist ein wahrer Bandit. Ich sage es, wie ich es denke. Kürzlich hat er gestohlen, und wir haben große Mühe gehabt, ihn aus den Händen der Polizei zu befreien. Dabei ist die Mutter so schwach gegen ihn, daß sie ihm alles ausliefert, was ich verdiene. Nein, nein, ich habe genug davon, um so mehr, als er mich in schreckliche Angst versetzt, indem er mir droht, mich zu schlagen, mich zu töten, da er ganz gut weiß, daß seit meiner Operation das geringste etwas stärkere Geräusch mich einer Ohnmacht nahe bringt. Und da schließlich weder der Vater noch die Mutter auf mich angewiesen sind, so ist es wohl verzeihlich, wenn ich für mich allein ruhig leben will. Nicht wahr, das ist doch mein Recht?«
    Dann sprach sie von ihrer Schwester Euphrasie: »Oh, meine arme Schwester, wenn Sie wüßten, was aus der geworden ist, seit man sie operiert hat! Ich habe mich noch nicht so sehr zu beklagen, außer dieser schrecklichen Sache, daß ich nie ein Kind haben werde. Sie sehen, ich bin auf den Beinen, nicht sehr stark, aber immerhin kräftig genug. Ich muß auch sagen, daß die Schmerzen in den Weichen nie wiedergekommen sind. Ich spüre zwar noch immer manchmal den Schmerz da im Hinterkopfe, wie von einem eingeschlagenen Nagel, ebenso wie den Klumpen, der mir im Halse aufsteigt, daß ich meine, ich muß ersticken. Aber das läßt sich doch ertragen, und es ist ein Paradies im Vergleich zu dem elenden Zustande, in den die arme Euphrasie verfallen ist. Sie können sich nicht vorstellen, wie zusammengebrochen sie ist; ihr Haus ist dadurch zerstört, ihr Mann lebt in demselben Zimmer mit einer andern Frau, die ihm kocht und die drei Kinder wartet. Sie selbst, um zwanzig Jahre gealtert, schwach wie ein Kind, kann nicht einmal mehr den Besen halten. Man muß das nur gesehen haben, es ist zum Schaudern.«
    Sie schwieg eine Weile, und der Wagen erreichte die Rue Caroline.
    »Wollen Sie mitkommen? Sie könnten ihr einige gute Worte sagen. Es wäre mir sehr lieb, denn ich gehe einer unangenehmen Sache wegen zu ihr. Ich habe geglaubt, daß sie Kraft genug haben wird, um so wie ich kleine Schachteln zu machen, damit sie wenigstens einige Sous verdient. Aber nun hat sie die Arbeit schon über einen Monat bei sich, und wenn sie nun durchaus damit nicht fertig werden kann, so muß ich sie ihr wohl wieder wegnehmen.«
    Mathieu willigte ein. Oben im Zimmer bot sich ihm ein Schauspiel, wie er es schrecklicher, herzzerreißender noch kaum gesehen hatte.
    Inmitten des einzigen Gelasses, wo sie alle aßen und schliefen, saß Euphrasie auf einem Strohsessel.

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