Fruchtbarkeit - 1
Man hätte sie für eine kleine fünfzigjährige Frau halten können, obgleich sie kaum dreißig zählte; sie war so abgemagert und zusammengeschrumpft, daß sie jenen ausgedörrten Früchten glich, die auf dem Baume vertrocknet sind. Die Zähne waren ihr ausgefallen, spärliches graues Haar deckte ihren Scheitel. Aber was diese vorzeitige Senilität besonders kennzeichnete, das war ein unglaublicher Schwund der Muskelkräfte, eine beinahe vollständige Unfähigkeit zum Wollen und Handeln, dergestalt, daß sie nun die Tage hindurch so müßig, stumpfsinnig dasaß, ohne den Mut zu haben, einen Finger zu rühren.
Als Cécile ihr Monsieur Froment, den einstigen ersten Zeichner der Fabrik, genannt hatte, schien sie ihn nicht einmal zu erkennen, sie nahm an gar nichts mehr Interesse. Und als ihre Schwester dann von dem Zweck ihres Besuches sprach und die Arbeit forderte, die sie ihr gegeben hatte, antwortete sie mit einer Gebärde unendlicher Müdigkeit: »Was willst du, es dauert gar zu lang, bis man alle die kleinen Stückchen zusammenklebt. Ich kann nicht mehr, ich gerate in Schweiß dabei.«
Eine dicke Frau, die da war und die den drei Kindern Butterbrote zur Vesper gab, fiel nun mit dem Tone ruhiger Autorität ein: »Sie sollten sie wieder mitnehmen, die Arbeit, Mademoiselle Cécile. Sie kann sie unmöglich fertigbringen. Sie wird sie nur schmutzig machen, und man wird sie Ihnen dann nicht mehr abnehmen.«
Es war Madame Joseph, eine Witwe von vierzig Jahren, die in einigen Häusern des Viertels die Wirtschaft besorgte, und die Auguste Bénard, der Mann Euphrasies, gebeten hatte, zuerst des Morgens auf zwei Stunden zu kommen, als seine Frau nicht mehr die Kraft gehabt hatte, den Kindern die Schuhe anzuziehen, die Suppe ans Feuer zu stellen, selbst das Zimmer auszukehren. In den ersten Tagen hatte sich Euphrasie wütend diesem Eindringen einer Fremden in ihr Haus widersetzt, hatte verzweifelt gekämpft, halb wahnsinnig, daß sie ihrer Reinlichkeitssucht nicht mehr genügen konnte. In dem Maße, als dann ihr körperlicher Verfall vorgeschritten war, hatte sie wohl oder übel dulden müssen, daß die Fremde allmählich ihren Platz einnahm. Und wie das in den armen Häusern so geht, wo die Bedürfnisse auf kürzestem Wege befriedigt werden, hatte Madame Joseph natürlich binnen kurzem ihren Platz vollständig eingenommen, bei den Kindern sowohl als auch beim Manne. Die Kranke war nach einer vorübergehenden Erregung in einen solchen traurigen Zustand verfallen, daß sie ihrem Manne keine Gattin mehr sein konnte, trotz der schrecklichen Eifersucht, die ihre Unfähigkeit begleitete. Eine andre Frau war bei der Hand, und Bénard hatte sich ihrer einfach bedient, als kräftiger Mann, der nicht imstande war, zu fasten, im übrigen ohne bösen Willen. Es hatte zuerst schreckliche Szenen gegeben, bis zu dem Tage, da die unglückliche Kastrierte, stammelnd und zitternd, in die stumpfsinnige Resignation einer armen Alten verfallen war, die aus der Welt gestrichen ist. Dann hatte sie selbst das Ehebett verlassen, hatte sich in das dunkle Kabinett zurückgezogen, in welchem früher ihre beiden Mädchen geschlafen hatten, aus Furcht, aus Verlangen, sich zu verkriechen wie ein krankes Tier, und ließ die Kinder nun bei ihrer Ersatzmutter schlafen. Und der beste Beweis, daß weder Bénard noch Madame Joseph im Grunde genommen ein schlechtes Herz hatten, war, daß sie sie bei sich behielten, nutzlos und lästig, wie sie war, anstatt sie einfach fortzujagen und verkommen zu lassen, wie so viele andre getan hätten.
»Jetzt sind Sie schon wieder in der Mitte des Zimmers!« sagte die dicke Frau barsch, die im eiligen Hin und Hergehen dem Sessel jedesmal ausweichen mußte. »Es ist doch merkwürdig, daß Sie sich nicht in eine Ecke setzen können. Auguste wird gleich zur Vesper nach Hause kommen, und er wird sich ärgern, wenn er seinen Käse und seinen Wein nicht auf dem Tische findet.«
Furchtsam und ohne zu antworten, erhob sich Euphrasie wankend und zog mit großer Anstrengung ihren Sessel ein wenig beiseite, bis nahe an den Tisch. Dann setzte sie sich erschöpft und verfiel wieder in Apathie.
Gerade als Madame Joseph den Käse herbeibrachte, kam Bénard herein, dessen Bauplatz in der Nähe war. Er war noch immer derselbe wohlgemute, dicke Mann, scherzte mit seiner Schwägerin und war sehr höflich gegen Mathieu, dem er dafür dankte, daß er sich für das Schicksal seiner armen Frau interessiere.
»Mein Gott, Monsieur, sie kann
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