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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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die Zeichnung seiner Frau geworfen, in den Salon zurückgekehrt war. Der junge Mann stellte sich an den Schreibtisch, die Namen mit leiser Stimme diktierend, und in dem tiefen Schweigen war nur dieses leise, monotone Flüstern hörbar.
    Die Minuten verstrichen bleiern. Die Besucher erwarteten immer noch Constance. In dem Totenzimmer öffnete sich langsam eine nach den inneren Gemächern führende Tür, und Constance trat geräuschlos ein, ohne daß jemand bemerkt hätte, daß sie da sei. Es war, als ob ein Gespenst aus dem Schatten in das schwache Licht der Wachskerzen getreten wäre. Sie hatte noch nicht geweint, ihr Gesicht war blutlos, zusammengezogen, in kalter Wut erstarrt. Wie von einer ungeheuren Empörung aufgebäumt, schien ihre kleine Gestalt, weit entfernt gebeugt zu sein, noch gewachsen in der Auflehnung gegen die Ungerechtigkeit des Schicksals. Gleichwohl war ihre Trauer ohne Überraschung: sie hatte sogleich gefühlt, daß sie das erwartete, obgleich sie sich eine Minute vor dem Tode noch eigensinnig weigerte, daran zu glauben. Das war seit vielen Monaten ihr unbewußt im tiefsten Grunde ihrer Seele gelegen, als eine körperlose Ahnung, die mit plötzlichem Sprunge zur grauenhaften Wirklichkeit wurde. Mit einem Male verstand sie, wußte sie zu deuten, jenes Flüstern aus dem Unbekannten, jenen Eishauch, der ihr Herz erkältet hatte, jenes unbestimmte, angstvolle Bedauern, daß sie nicht noch ein Kind habe. Die Drohung hatte sich nun erfüllt, das unerbittliche Schicksal wollte es, daß dieser einzige Sohn, dieser Retter des gefährdeten Hauses, dieser dereinstige Fürst, an dessen Königreich ihr Stolz mitteilhaben wollte, davongeweht wurde wie ein welkes Blatt. Das war der vollständige Zusammenbruch ihres Daseins, die Erde hatte sich unter ihren Füßen geöffnet. Und ihre größte Qual waren diese ihre trockenen Augen, diese ihre Zornesglut, an der ihre Tränen in ihr verdampften, während die gute Mutter, die sie stets gewesen, von dem wahnsinnigen, vergifteten Schmerze zerrissen wurde, ihr Kind verloren zu haben.
    Sie näherte sich Charlotte, blieb hinter ihr stehen, betrachtete das verschärfte Profil ihres toten Sohnes inmitten der Blumen. Und sie weinte noch immer nicht. Langsam ließ sie den Blick über das Bett hingleiten, füllte sich die Augen mit dem herzzerreißenden Anblick und richtete sie dann auf das Papier, wie um zu sehen, was ihr von diesem angebeteten Kinde übrigbleiben würde, diese wenigen Bleistiftstriche, wenn die Erde ihn ihr morgen für immer genommen haben würde. Charlotte, die sie hinter sich fühlte, erbebte und hob den Kopf. Sie empfand Furcht, sie sprach nicht. Die beiden Frauen wechselten nur einen Blick. Und welche Herzensqual für diese Mutter, inmitten dieses Totengemaches, gegenüber ihrer Vernichtung, dieses Gesicht voll Liebe, Gesundheit und Schönheit, welches sich da wie ein junges, strahlendes Zukunftsgestirn aus dem Gold der feinen Haare hob!
    Aber nun sollte Constance noch einen Schmerz erfahren Aus dem Salon drangen von der Nähe der Tür her leise geflüsterte Worte deutlich an ihr Ohr. Sie blieb unbeweglich hinter Charlotte stehen, die in ihrer Arbeit fortfuhr, und horchte hinaus, ohne sich noch zu zeigen, obgleich sie Marianne und Madame Angelin nahe der Tür, fast in den Falten des Vorhanges sitzen gesehen hatte.
    »Ach,« sagte Madame Angelin, »die arme Mutter hatte etwas wie ein Vorgefühl. Ich habe gesehen, wie beunruhigt sie war, als ich ihr meine traurige Geschichte erzählte. Bei mir ist nun alles zu Ende. Und nun, da der Tod ihr alles genommen hat, ist es auch bei ihr zu Ende.«
    Es folgte ein Stillschweigen. Dann schien eine Gedankenverbindung bei ihr vorgegangen, und sie sagte, da sie offenbar das Bedürfnis empfand, zu sprechen:
    »Sie erwarten sich für den nächsten Monat, nicht wahr? Es ist Ihr elftes, und ohne Ihre zwei Fehlgeburten wäre es das dreizehnte. Elf Kinder, das ist keine Zahl, Sie werden wohl auch noch ein zwölftes bekommen.«
    Sie vergaß die sie umgebende Trauer, ein schwaches Lächeln war auf ihre Lippen getreten, als ob ihr geheimer Neid durch eine solche Fruchtbarkeit entwaffnet wäre.
    Aber Marianne verwahrte sich lebhaft:
    »O nein, diesmal glaube ich wohl, daß das zwölfte nicht erscheinen wird. Bedenken Sie, daß ich einundvierzig Jahre alt bin. Es ist Zeit, daß ich aufhöre, meine Aufgabe ist erfüllt. Es ist nun an meinen Söhnen und Töchtern, Kinder zu bekommen.«
    Und Constance erbebte, von einem Anfall jener

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