Fruchtbarkeit - 1
solchen Verwirrung, daß er rastlos auf und ab ging, selbstvergessen hier verweilte, all den Schmerz, der das Haus erfüllte, zu dem seinen machte.
Als er die Besucher sah, sprach auch er das Wort, das sich auf alle Lippen drängte:
»Welch schreckliches Unglück, der einzige Sohn!«
Er drückte ihnen die Hand, er flüsterte, erzählte, daß Madame Beauchêne sich gebrochen auf eine Weile zurückgezogen habe, während Beauchêne und Blaise unten die nötigen Anordnungen trafen. Und indem er seine langsame, mechanische Gangart wieder aufnahm, deutete er mit der Hand gegen das nächste Zimmer, dessen Flügeltüren offen standen. »Er liegt da, auf dem Bette, auf dem er gestorben ist. Man hat Blumen aufgestreut, es ist sehr schön. Sie können eintreten.« «
Es war in der Tat das Zimmer Maurices. Die Vorhänge waren herabgelassen worden, um vollständige Dunkelheit herzustellen. Wachskerzen brannten am Bette und warfen ihren Schein auf das Gesicht des Toten, das sehr weiß, sehr ruhig mit geschlossenen Augen dalag, wie im Schlafe. Es war nicht verändert, nur ein wenig abgemagert, veredelt durch den Tod, der es so plötzlich geküßt hatte. Die gefalteten Hände hielten ein Kruzifix. Auf die Decke gestreute Rosen breiteten den Frühling über das Lager. Ihr Duft, vermengt mit dem des heißen Wachses, legte sich ein wenig beklemmend auf die Brust, inmitten des tiefen Schweigens, das alle diese tragische Unbeweglichkeit um sich verbreitete. Und in der Halbdunkelheit, in der bloß das Bett sichtbar war, bewegte kein Lufthauch die hohen, geraden Flammen der Wachskerzen.
Als Mathieu und Marianne eingetreten waren, sahen sie nahe der Tür hinter einem Wandschirm ihre Schwiegertochter Charlotte, die beim Licht einer kleinen Lampe den von Rosen umgebenen Kopf des Toten auf einen Karton zeichnete, den sie auf den Knien hielt. Sie hatte dem verzweifelten Verlangen der Mutter nachgegeben, trotz des Qualvollen einer solchen Arbeit für ihr zwanzigjähriges Herz. Seit drei Stunden befand sie sich nun da, bestrebt, ihre Aufgabe gut auszuführen, sehr blaß, von außerordentlicher jugendlicher Schönheit mit ihrem blühenden Gesichte, ihren erweiterten blauen Augen unter dem Gold der feinen Haare. Als Mathieu und Marianne sich ihr näherten, grüßte sie sie nur mit einem leichten Kopfnicken, ohne zu sprechen. Aber ihre Wangen bekamen etwas Farbe, ihre Augen lächelten; und als die beiden geräuschlos in den Salon zurückkehrten, nachdem sie einige Augenblicke in schmerzlicher Betrachtung verweilt hatten, setzte sie ihre Arbeit fort, allein mit dem Toten, inmitten der Blumen und der Wachskerzen.
Im Salon schritt Morange noch immer auf und ab wie ein verirrter Schatten. Mathieu blieb stehen, während Marianne, deren Zustand keine lange Anstrengung erlaubte, sich neben der Tür niederließ. Kein Wort wurde gewechselt; das dumpfe Harren dauerte weiter in dem erstickenden Schweigen der verhängten, düsteren Zimmer. Nach etwa zehn Minuten kam ein neuer Besuch, ein Herr und eine Dame, die sie nicht gleich erkannten. Morange hatte sich verbeugt, sie in seiner verlorenen Art empfangen. Die Dame ließ die Hand des Herrn nicht los, leitete ihn wie einen Blinden durch die Möbel, damit er nicht anstoße, und Mathieu und Marianne erkannten die Angelin. Seit dem letzten Winter hatten diese ihr Häuschen in Janville verkauft und sich in Paris niedergelassen. Ein neues und schweres Unglück hatte sie betroffen, der fast vollständige Verlust ihres kleinen Vermögens durch den Zusammenbruch eines großen Bankhauses. Die Frau, welche hierauf eine Beschäftigung suchte, war von der Armenverwaltung zur Inspektorin ernannt worden, eine jener Damen, welche die unterstützten Mütter beaufsichtigen, die Kinder besuchen und über ihre Erfahrungen berichten; und, wie sie mit traurigem Lächeln sagte, über diese kleine Welt zu herrschen war noch ein Trost für sie in ihrem tiefen Kummer über ihre nun zweifellose Unfruchtbarkeit. Der Mann jedoch, dessen Sehvermögen immer schwächer wurde, hatte jede Arbeit aufgeben müssen und lebte jetzt nur noch in der trostlosen Verzweiflung über sein verdorbenes, nutzloses Dasein dahin.
Mit kleinen Schritten, als ob sie ein Kind führte, brachte ihn Madame Angelin in die Nähe Mariannens und ließ ihn in einem Fauteuil Platz nehmen. Er hatte noch sein stolzes Musketiergesicht bewahrt, das aber von Kummer durchfurcht war; er war ganz weiß geworden mit vierundvierzig Jahren. Und welch eine Erinnerung beim
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