Fruchtbarkeit - 1
Söhne sich der erledigten Throne bemächtigend. Und sie war allein, sie hatte niemand als ihren unwürdigen, verkommenen, kraftlosen Gatten, während der stumpfsinnige Morange, der da rastlos auf und ab ging, gleich dem Gespenst ihrer Verzweiflung war, ein armer Mann, dem der schreckliche Tod seiner Tochter seine Seele, seine Kraft und seine Vernunft genommen hatte. Kein Laut drang aus der leeren, erkalteten Fabrik herauf, die Fabrik war tot.
Das Leichenbegängnis am zweitnächsten Tage war imposant. Die fünfhundert Arbeiter der Fabrik folgten dem Sarge; hervorragende Persönlichkeiten aller Klassen waren im Zuge. Es wurde sehr bemerkt, daß ein alter Arbeiter, der Vater Moineaud, der Älteste der Fabrik, eine der Schnüre des Leichentuches trug; man fand das sehr rührend, obgleich der arme Mann ein wenig das Bein nachschleppte und unbeholfen in seinem Gehrock, abgestumpft durch dreißigjährige Arbeit, dahinging. Als man sich auf dem Friedhofe dem Grabe näherte, war Mathieu überrascht, von einer alten Dame angesprochen zu werden, die einem Trauerwagen entstieg.
»Ich sehe, mein lieber Freund, daß Sie mich nicht erkennen.« Er machte eine Gebärde der Entschuldigung. Es war Sérafine, noch immer groß und schlank, aber so abgemagert, so verwelkt, daß sie hundert Jahre alt schien, gleich einer der alten verbannten Königinnen aus den Märchen. Cécile, die betrübte Operierte, mochte ihn noch so sehr vorbereitet haben, nie hätte er an eine so schnelle Verwüstung dieser herausfordernden rothaarigen Schönheit geglaubt, die dem Alter Trotz zu bieten schien. Welcher entsetzliche Zerstörungshauch war über sie hingefahren?
»Ach, mein Freund,« fuhr sie fort, »ich bin mehr tot als der arme Tote, den man dort hinuntersenken wird! … Kommen Sie doch einmal auf eine Viertelstunde zu mir. Sie sind der einzige Mensch, der einzige Vertraute, dem ich alles sagen kann.«
Der Sarg wurde hinabgelassen, die Seile knarrten, man hörte einen kurzen, dumpfen Stoß, den letzten. Beauchêne, der von einem Verwandten gestützt wurde, sah mit erloschenem Blicke hin. Constance, die den übermenschlichen Mut gehabt hatte, mitzukommen, nun von Tränen erschöpft, sank in Ohnmacht. Man trug sie fort, man brachte sie in das leere Haus zurück, in das für immer leere Haus, das gleich einem jener vom Blitzstrahl getroffenen Felder war, die kahl bleiben, mit Unfruchtbarkeit geschlagen. Die Erde hatte alles wiedergenommen.
In Chantebled fuhren Mathieu und Marianne fort zu arbeiten, zu schaffen, zu zeugen. Und während der zwei Jahre, die hingingen, waren sie abermals siegreich in dem ewigen Kampfe des Lebens gegen den Tod durch das fortgesetzte Wachstum der Familie und der fruchtbaren Erde, das der Inhalt ihres Daseins war, ihre Freude und ihre Kraft. Die Begierde fuhr in Flammenstürmen hin, die göttliche Begierde machte sie fruchtbar, gab ihnen Kraft zu lieben, gut zu sein, gesund zu sein; und die Energie tat das übrige, ihre Tatfreudigkeit, die tapfere Beharrlichkeit in der nützlichen Arbeit, die die Welt aufbaut und in Ordnung hält. Aber während dieser zwei Jahre wurde ihnen der Sieg nicht ohne rastlosen Kampf. Heute war der Sieg vollständig. Séguin hatte Stück um Stück den ganzen Besitz abgetreten, und Mathieu war nun dessen Beherrscher geworden durch sein kluges Vorwärtsbringen, womit er sein Reich erweiterte, in dem Maße, als er seine Kraft wachsen fühlte in dem Kampfe für die Lebensbedingungen seiner Familie. Das Vermögen, das der Müßiggänger verachtet, verschleudert hatte, ging in die Hände des Arbeiters, des schaffenden Geistes über. Die fünfhundert Hektar erstreckten sich von einem Horizont zum andern; die Wälder waren von ausgedehnten Weiden durchschnitten, auf denen große Herden grasten; die Sümpfe waren trocken gelegt, in fetten Boden umwandelt, der überreiche Ernten hervorbrachte; die Heiden wurden von den gefaßten und weitergeleiteten Quellen mit von Jahr zu Jahr wachsender Fruchtbarkeit durchtränkt. Nur der wüste Streifen der Lepailleur war noch da, wie um für das Wunder zu zeugen, für die menschliche Arbeit, die diese Sand und Morastwüste in blühende Äcker verwandelt hatte, deren Ernten nunmehr ein kleines glückliches Volk nährten. Er hatte niemand sein Teil weggenommen; er hatte sich sein Teil erobert und geschaffen, indem er zugleich den gemeinsamen Besitz vermehrte, wieder ein Stückchen der weiten Welt unterjochte, die noch so schwach bevölkert, so wenig für das Glück
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