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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Wut erfaßt, die ihre Tränen austrocknete. Mit einem Seitenblick konnte sie sie sehen, diese Mutter von zehn lebenden Kindern, mit dem elften schwanger, mit ihrem von kommendem Leben erfüllten Leibe, den sie in dieses Todeshaus trug. Sie sah sie immer jung, immer frisch, von Gesundheit, von Freude, von unendlicher Hoffnung überquellend. Und nun, da ihr alles entrissen worden, da sie ihr einziges Kind verloren, war jene wieder hier, an der Seite des Totenbettes, gleich einer guten Göttin unerschöpflicher Fruchtbarkeit, mit ihrem unaufhörlich gebärenden Leibe.
    »Und dann,« setzte Marianne hinzu, ihrerseits lächelnd, »Sie vergessen, daß ich schon Großmutter bin. Da, sehen Sie einmal dorthin! Das versetzt mich in den Ruhestand!«
    Sie deutete auf das Dienstmädchen ihrer Schwiegertochter Charlotte, die, dem empfangenen Auftrage gemäß, die kleine Berthe um die Stunde des Stillens herbeibrachte, damit die Mutter nicht nötig habe, hinunterzugehen. Das Mädchen wagte nicht, in die Trauergemächer einzutreten, und war zögernd an der Tür des Salons stehengeblieben. Aber das Kind bewegte fröhlich seine dicken Händchen und ließ einen leichten Laut des Behagens hören. Und Charlotte, die es vernommen hatte, beeilte sich, aufzustehen und den Salon leicht zu durchschreiten, um sich in das anstoßende Zimmer zu begeben, wo sie ihm die Brust reichen konnte.
    »Sie ist allerliebst!« sagte Madame Angelin leise. »Diese kleinen Wesen sind wie die Blumen. Sie verbreiten Helle und Erfrischung, wohin sie kommen.«
    Constance war wie geblendet. In die Halbdunkelheit, in der nur die Flammen der Wachskerzen strahlten, in die dicke, schwüle Luft, welche der Geruch der abgeschnittenen Blumen noch schwüler machte, hatte das Kind einen Frühlingshauch gebracht, das helle und frohe Licht einer fernhin wirkenden Lebenshoffnung. Und dies war der vervielfältigte Sieg der fruchtbaren Mütter, das war das Kind des Kindes, Marianne war noch einmal fruchtbar in der Fruchtbarkeit ihres Sohnes. Sie war schon Großmutter, hatte sie lächelnd gesagt. Eine neue Schönheit, eine neue Würde waren ihr hinzugekommen, der Strom, der ihren Lenden entsprungen war, verbreiterte sich ohne Ende. Und der Axthieb des Geschickes widerhallte um so furchtbarer im Herzen Constances, ihr Stamm war an seiner Wurzel getroffen, der einzige Sproß war abgeschnitten, nichts konnte mehr aus ihr hervorgehen.
    Einen Augenblick noch verweilte sie allein in diesem Grabe, in diesem Zimmer, wo die Reste ihres Sohnes lagen. Dann raffte sie sich auf und trat in den Salon hinaus wie ein starres Gespenst. Alle erhoben sich, umarmten sie, erschauerten bei der Berührung dieser kalten Wangen, in denen kein warmes Blut mehr pulsierte. Ein unendliches Mitleid zog alle Herzen zusammen, so erschreckend war ihre starre Ruhe. Man suchte nach tröstenden Worten, aber sie wehrte mit einer kurzen Gebärde ab.
    »Es ist aus,« sagte sie, »was wollt ihr? Es ist aus, ganz aus.«
    Madame Angelin schluchzte, selbst Angelin trocknete seine armen bewegungslosen, getrübten Augen. Marianne und Mathieu hatten ihre Hände in den ihrigen behalten und weinten. Sie blieb erstarrt, konnte noch immer nicht weinen, wies die Trostesworte zurück und wiederholte nur immer mit eintöniger Stimme: »Es ist aus, nichts kann ihn mir mehr wiederbringen, nicht wahr? Also ist nichts mehr da, es ist aus, ganz aus!«
    Sie mußte sich gleichwohl aufrecht halten, denn es war noch eine Flut von Besuchen zu erwarten. Aber sie sollte noch einen Stoß ins Herz empfangen. Beauchêne, dem die Tränen wieder aus den Augen gestürzt waren, als sie eintrat, konnte das Papier zum Schreiben nicht mehr sehen. Seine Hand zitterte, er mußte den Schreibtisch verlassen, er warf sich in einen Fauteuil, indem er zu Blaise sagte:
    »Setze dich da her und fahre fort.«
    Und Constance sah, wie Blaise sich an den Schreibtisch ihres Sohnes setzte, den Platz ihres Sohnes einnahm, die Feder in sein Tintenfaß tauchte und schrieb, wie sie oft Maurice hatte schreiben sehen, mit derselben Gebärde. Dieser Blaise, dieser Älteste der Froment! Der arme Tote war noch nicht eingesargt, und schon ersetzte ihn ein Froment, ebenso wie die lebenskräftigen, überwuchernden Pflanzen das benachbarte brachliegende Feld überziehen. Und sie fühlte das unabwendbare, drohende Heranschwellen dieser Lebensflut, die sie umgab, fühlte ihre allbesiegende Macht: die Großmutter noch schwanger, die Schwiegertochter schon ihre Kinder stillend, die

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