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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Anblick dieser betrübten Frau, die diesen hilflosen Mann führte, für die, welche das junge, schöne und zärtliche Paar gekannt hatten, das einst in sorglosem Liebesgenuß die verschwiegenen Waldpfade von Janville durchstreift hatte!
    Sobald sie die Hände Mariannens in ihren zitternden Händen hielt, fand auch sie nur das trostlose, leise gestammelte Wort:
    »Ach, welch entsetzliches Unglück, der einzige Sohn!«
    Ihre Augen füllten sich mit Tränen, sie wollte sich nicht setzen, ohne auf einen Augenblick in das Totenzimmer gegangen zu sein. Als sie zurückkehrte, erstickte sie ihr Schluchzen mit ihrem Taschentuche und ließ sich in einen Fauteuil sinken zwischen Marianne und ihren Mann, der unbeweglich mit gerade vor sich hinstarrenden Augen saß. Und wieder herrschte Schweigen in dem toten Hause, in welches der Lärm der Fabrik nicht mehr herüberdrang, die verlöscht, verödet, erkaltet dalag.
    Endlich erschien Beauchêne, gefolgt von Blaise. Er schien um zehn Jahre gealtert unter dem furchtbaren Schlage, der ihn getroffen hatte. Es war so plötzlich gekommen, als ob ihm der Himmel auf den Kopf gefallen wäre. Nie hatte er in seinem siegesgewissen Egoismus, in seinem stolzen Kraftbewußtsein, inmitten seiner Lebensgenüsse daran gedacht, daß ein solcher Zusammensturz möglich sei. Nie hatte er es zugeben wollen, daß Maurice krank sei, so sehr war ihm dieser Gedanke eine Art Angriff auf seine eigne Gesundheit, auf seine feste Überzeugung, daß er nur einen kräftigen Jungen habe erzeugen können, der jeder Katastrophe Trotz bieten könne. Er glaubte sich über die Tücke des Schicksals erhaben, er wähnte, das Unglück würde sich nicht an ihn heranwagen. Und unter der Wucht des Schlages war er weibisch weich geworden, kraftlos in den Gliedern, schon geschwächt durch sein zügelloses Leben, durch die langsame Abnahme seiner Geisteskräfte. Er hatte vor seinem toten Sohn geschluchzt wie ein Kind, seine Eigenliebe war ins Mark getroffen, seine Berechnungen alle vernichtet. Ein Blitzschlag war herniedergefahren, und alles war leer. Von einer Minute zur andern war sein Leben weggefegt, und die Welt war schwarz und öde. Und nun kam er herein, totenbleich, niedergeschmettert, sein dickes Gesicht von Kummer aufgedunsen, die schweren Augenlider von Tränen entzündet.
    Als er die Froment gewahrte, wurde er wieder von Schmerz überwältigt, er kam auf sie zu, taumelnd, mit offenen Armen, aufs neue von Schluchzen erstickt.
    »Ach, meine lieben Freunde, welch entsetzlicher Schlag! Und ich war nicht da! Als ich zurückkehrte, hatte er schon das Bewußtsein verloren, er hat mich nicht einmal mehr erkannt! Ist es denn möglich? Ein so gesunder junger Mensch! Ich glaube, daß ich träume, daß er jeden Augenblick aufstehen muß, um mit mir in die Fabrik hinabzugehen!«
    Sie umarmten ihn, er flößte ihnen tiefes Mitleid ein in seiner grenzenlosen Verzweiflung; er war wohl von irgendeiner Orgie heimgekehrt, vielleicht noch, betrunken, um dann mitten in diese schreckliche Katastrophe hineinzufallen, und der wuchtige Schlag, der ihn getroffen, versetzte ihn in eine Betäubung, zu welcher die Erschöpfung des übermäßigen Alkohol und Liebesgenusses sich gesellte. Sein Bart, von Tränen benetzt, roch noch nach Tabak und Moschus.
    Dann schloß er sogar auch die Angelin in seine Arme, die er kaum kannte.
    »Ach, meine lieben Freunde, welch entsetzlicher Schlag, welch entsetzlicher Schlag!«
    Auch Blaise umarmte seine Eltern. Trotz der schrecklichen Nacht, die er verbracht hatte, trotz seines Kummers hatte er seine klaren Augen, sein frisches junges Gesicht behalten. Tränen rollten jedoch noch über seine Wangen, denn er hatte für Maurice im Laufe ihrer gemeinschaftlichen täglichen Arbeit eine aufrichtige Freundschaft gefaßt.
    Wieder trat Schweigen ein. Morange fuhr fort, in seiner traumverlorenen Art langsam auf und ab zu gehen, als ob er allein wäre, scheinbar ohne Bewußtsein für das, was um ihn vorging. Beauchêne irrte umher, verschwand und kam dann wieder, mit kleinen Notizbüchern in der Hand. Er irrte wieder umher und setzte sich endlich vor einen Schreibtisch, den man aus dem Zimmer Maurices herausgebracht hatte. Gequält, so wenig an den Kummer gewöhnt, daß er das instinktive Bedürfnis fühlte, sich zu betäuben, begann er in den Büchelchcn zu blättern, um eine Liste der Adressen für die Todesanzeigen aufzustellen. Aber seine Augen trübten sich, er winkte Blaise herbei, der, nachdem er einen Blick auf

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