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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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gestern nahezu die Sitzbänke demoliert hatte. Dort drüben in dem Palais in der Avenue d’Antin hatte Céleste Gaston und Lucie zu Bett gebracht und sich beeilt, wieder in die Küche hinabzugehen, wo ihre Freundin Madame Menoux, eine kleine Krämerin aus der Nachbarschaft, sie erwartete. Gaston schlief, er hatte ungewässerten Wein getrunken. Lucie, die wieder starke Leibschmerzen gehabt hatte, lag zähneklappernd im Bett und wagte es nicht, Céleste zu rufen, da diese sie puffte, wenn sie sich einfallen ließ, sie zu stören. Und gegen zwei Uhr morgens, wenn die Séguin heimkehren, nachdem sie Santerre mit einem Dutzend Austern bewirtet, werden sie die sexuelle Überreizung mit sich bringen aus dem heißen und gemeinen Theater, aus dem Nachtrestaurant, wo sie Tisch an Tisch mit Dirnen gesessen hatten, sie werden sich zu Bett begeben, all ihre Triebe entartet, von der Mode verderbt, das Gehirn verwüstet von den Spiegelfechtereien einer unsinnigen und verdrehten Literatur. Es wurde zum Verbrechen, ein Kind zu bekommen, die unfruchtbare Lust war das von aller Welt erstrebte Ziel. Während Santerre ruhig allein zu Bett geht, geduldig seine Stunde abwartend, und mittlerweile als kluger Lebemann, der sich schont, die andern zum Tanz führend.
    Und als Schlußergebnis seines Tages sah Mathieu nun mit einemmal die Unterschlagung, die Unterschlagung überall, bei allen den Leuten, in deren Haus er seit dem Morgen den Fuß gesetzt. Alle, die ihn umgaben, alle, die er kannte, weigerten sich, Leben hervorzubringen, unterschlugen, um keine Kinder zu erzeugen, unterschlugen geflissentlich und beharrlich infolge wohlbedachter Berechnungen ihres Egoismus, ihres Ehrgeizes und ihrer Vergnügungssucht. Er übersah in diesem Momente gleichzeitig drei Fälle gewollter Eindämmung, drei verschiedene Milieus, und in diesen eine und dieselbe Enthaltung aus verschiedenen Ursachen. Und obgleich keiner dieser Fälle ihm neu war, so kam ihm doch diese Gruppierung überraschend, diese Wiederholung, diese Aufeinanderschichtung gleichartiger Formen; und eine große Verwirrung entstand in ihm, eine Erschütterung alles dessen, was er bis nun für recht gehalten, ein Zweifel an den Begriffen von Leben, Pflicht und Glück, wie er sie noch diesen Morgen verstanden hatte.
    Er blieb stehen, holte tief Atem, wollte sich wiederfinden, die Trunkenheit besiegen, die er in sich wachsen fühlte. Er hatte die Oper passiert und befand sich am Carrefour Drouot. Waren es nicht diese von heißem nächtlichem Leben erfüllten Boulevards, welche das Fieber in seinen Adern steigerten? Die Zimmer der Restaurants waren hell erleuchtet, die Cafés warfen den Schein ihrer elektrischen Lampen auf die Straße, ihre Terrassen verengten das Trottoir mit den Tischen, an welchen die dichten Scharen der Gäste saßen. Ganz Paris schien hierhergeströmt zu sein, um die köstliche Mainacht zu genießen, und die Spaziergänger schoben sich in so dichten Massen vorwärts, daß ihre Körper unausgesetzt aneinander streiften, der warme Atem aller sie miteinander vermengte. Paare standen vor den blitzenden Läden der Juweliere; ganze Bürgerfamilien zogen unter dem blendenden Lichtkreis der Bogenlampen in die Cafékonzerts ein, deren große lockende Plakate blendende Schaustücke und Lüsternheiten aller Art verhießen. Hunderte von einzelnen Mädchen schoben sich durch, die Röcke herausfordernd gerafft, warteten darauf, daß man sie anspreche, ergriffen schließlich selbst die Initiative mit einladendem Lächeln und im Vorbeigehen zugeworfenen Flüsterworten. Suchende Männer gingen geringschätzig an ihnen vorüber, spähten nach einem Abenteuer, nach der verirrten anständigen Frau, nach der kleinen Bürgerlichen oder Arbeiterin, die sich gibt, verfolgten irgendeine Blondine oder Brünette, flüsterten ihr heiße Worte in den Nacken. Ehepaare, legitime und illegitime, junge und alte, Liebespaare für den Tag oder die Stunde, rollten in offenen Wagen vorbei, den Schlafzimmern zu, der Mann schweigend, das Weib halb zurückgelehnt, in Gedanken verloren. Und diesen ganzen menschlichen Strom, der da zwischen den hohen leuchtenden Häusern unter dem Gesumme der Stimmen und dem Rollen der Räder hinfloß, erwartete, wie ein großes Meer, in welchem er sich bald verlieren sollte, die weite dunkle Nacht, das Bett, welches alle aufnehmen wird, die letzte Umarmung, in welcher sie endlich einschlafen werden.
    Mathieu war wieder weitergeschritten, ließ sich von der Menge führen und

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