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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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tragen, von dem Fieber durchglüht, welches die Erregungen des Tages, die Einblicke in das Leben und die Sitten seiner Nebenmenschen in ihm hervorgerufen hatten. Und es waren nun nicht mehr die Morange, die Beauchêne, die Séguin allein, welche unterschlugen: ganz Paris unterschlug mit ihnen. Die wohlüberlegte, zum Gesetz erhobene Abstinenz verbreitete sich, gewann die ganze Menge, erfaßte die Boulevards, die benachbarten Straßen, die Bezirke, die ganze ungeheure Stadt. Sowie die Nacht hereinbrach, wurde das vom wütenden Daseinskampf, vom Jagen wilder Erfolggier glühende Pariser Pflaster zum steinigen Felde, zum verkalkten Boden, auf welchem der Samen verdorrte, von Säern achtlos ausgestreut, die die Ernte haßten. Diese gewollte Unfruchtbarkeit, alle lehrten sie, schrien sie hinaus, trugen sie mit triumphierender Schamlosigkeit zur Schau. Ein Alkoholhauch entströmte den Restaurants und Cafés, entmannte die Männer, zerrüttete die Frauen, vergiftete das Kind im Keime. Der ganze Troß der Straße, alles was von der Begierde des Augenblicks in den Vergnügungslokalen und bei den Theaterausgängen aufgegriffen wird, all diese Weiblichkeit, die sich anbietet und sich bezahlen läßt, die in den Atlasbetten des eleganten Lasters oder in dem Schmutz armseliger Zimmer eilige Sättigung der Wollust gewährt, alle mordeten sie das Leben, spien es besudelt in das Schmutzwasser der Gosse. Und dies war die Hochschule der Unterschlagung, die Prostitution war die Lehrmeisterin des Meuchelmordes, der Zerstörung der Keime, dieses Vernichtungskrieges wie gegen schädliche Tiere, deren Zumvorscheinkommen das Leben unerträglich machen würde. Und dieses Paris jeder Nacht, welches sich eben zur unfruchtbaren Paarung bereitete, nahm die Lehre bereitwilligst an; da war das Paar der verfeinertsten Kultur, von neurasthenischer Literatur vergiftet, Bekenner aufs äußerste getriebener Theorien, die den Preis ihres Raffinements bezahlten, sich gegenseitige Hingabe versagten; da war das Paar aus den obersten Schichten des Handels, der Industrie, die Buch über ihre Nächte führten, so wie sie Buch über ihre Geschäfte führten, sorgfältig darüber wachend, daß die Bilanz sich stets mit Null ergebe; da war das Paar der freien Berufe ebenso wie das der Mittelklassen, der kleine Kaufmann ebenso wie der kleine Angestellte, der Advokat ebenso wie der Arzt – deren Vorsichtsmaßregeln sich verdoppelten in dem Maße, wie der Kampf der Eitelkeit und des Geldhungers an Wildheit zunahm; da war selbst das Paar der Arbeiterklasse, durch das Beispiel von oben verderbt, von Tag zu Tag wissender in den Praktiken der Überlieferung des Lebens an die Kloake, um bloß dem Genusse frönen zu können. Noch einige Minuten, und wenn es Mitternacht schlägt, wird ganz Paris unter der Herrschaft des Schreckens vor dem Kinde stehen. Die Männer wollen keine mehr zeugen, die Frauen wollen keine mehr empfangen. Selbst die Liebenden wachen, mitten im Delirium der Leidenschaft, ängstlich über ein mögliches Vergessen. Wenn man mit einer Bewegung alle Alkoven öffnen könnte, würde man sie fast alle unfruchtbar finden, aus Lüsternheit, aus Ehrgeiz, aus Berechnung, die der braven Eheleute ebenso wie die andern, in einer Perversität, welche niedrige Kalkulation für löbliches Gefühl hält, den Egoismus für Weisheit, die feige Furcht vor dem Leben für soziale Gewissenhaftigkeit. Ja, dieses Paris wollte sterben, dieses Paris, das jede Nacht das Leben verschüttete, den Fluß der Befruchtung von seinem Ziele ablenkte, auf das Pflaster rieseln ließ, in dem kein Keim sich entwickeln kann, dieses schlecht besäte Paris, welches die reiche und gesegnete Ernte nicht hervorbrachte, die es hervorbringen sollte.
    Eine Erinnerung erwachte in Mathieu, das Wort jenes Siegers, der am Abend einer Schlacht auf dem mit Leichen bedeckten Schlachtfelde gesagt hatte, eine Pariser Nacht genüge, um das alles zu ersetzen. Paris wollte also nicht mehr die Lücken ausfüllen, welche die Kugeln in die Reihen der Menschen rissen? Während der bewaffnete Friede Hunderte von Millionen verschlingt, verliert Frankreich jedes Jahr große Schlachten, indem es die hunderttausend Kinder nicht erzeugt, die es erzeugen sollte. Und er dachte an die Betten der Kasernen, wo einsam, unproduktiv und durch die Umgebung verdorben, vierhunderttausend junge Männer schlafen, die kräftigsten, die Blüte der Rasse, während auf ihren kalten Lagern eine noch größere Anzahl von Mädchen ohne

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