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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Mitteilungen Beauchênes und die unruhigen Zweifel, mit welchen ihn diese der Wollust einer unfruchtbaren Nacht zuströmende Menge erfüllte, hatten die Wirkung, daß ihm ihr Bild vor die Seele kam, in der Straße vor ihm her schwebte, lachend, herausfordernd, sich wieder anbietend. Nie noch war er die Beute eines solchen schweren Kampfes gewesen, nie hatten die Zweifel, wo das Rechte und Weise liege, seine Seele so geschüttelt, die seit dem Morgen Angriff auf Angriff auszuhalten gehabt hatte. Und er fühlte sich schwindlig, seines Halts beraubt, inmitten der heißen Lockungen seiner Umgebung, dieses nächtlichen Paris, das dem Kultus des egoistischen Genusses opferte. Waren es nicht die Beauchêne, die Morange, die Séguin, die recht hatten, wenn sie bloß nach dem Genuß strebten, aus Haß und Furcht vor dem Kinde? Und alle, alle machten es gleich ihnen, die ganze ungeheure Stadt wollte unfruchtbar sein. Das erschütterte ihn, brachte ihn aus dem Gleichgewichte, flößte ihm die Furcht ein, daß er bis nun einfach nur ein Narr gewesen. Das nicht tun, was alle Welt tat, war offenbar nichts andres als hochmütiger Starrsinn. Und vor sich sah er Sérafine mit dem üppigen, rotschimmernden Haar, den duftenden Armen, die ihm unerhörte Wollust verhieß, ohne Gefahr und ohne Reue.
    Und in seiner Tasche fühlte er die dreihundert Franken, die er heute als sein Gehalt bekommen. Dreihundert Franken für einen ganzen Monat, da er bereits kleine Schulden hatte: das reichte knapp für die dringendsten Bedürfnisse, gestattete ihm kaum, ein Band für Marianne, einige Süßigkeiten für die Kinder zu kaufen. Und, wenn er von den Morange absah, die beiden andern Häuser waren reich, erfreuten sich eines Wohlstandes, den er mit bitterer Beflissenheit sich in Erinnerung rief. Er sah die dröhnende Fabrik, die mit ihren schwarzen Gebäuden eine große Fläche bedeckte, ein ganzes Heer von Arbeitern, welches den Reichtum des Eigentümers mehren half, der in einem schönen Hause wohnte und dessen einziger Sohn unter den wachsamen Augen der Mutter zu der erträumten Machtstellung heranwuchs. Er sah das luxuriöse Palais der Avenue d’Antin, sein Vestibül, seine prächtige Treppe, den weiten, mit Kunstwerken aller Art gefüllten Raum im ersten Stock, alle diese Verfeinerung, diesen Aufwand des großen Reichtums, welche das üppige Leben dieser eleganten Weltleute verrieten, die große Mitgift, die sie ihrer Tochter geben, die hohe Stellung, die sie ihrem Sohne kaufen würden. Und er, nackt, mit leeren Händen, der nichts befaß, nicht einmal einen Stein am Feldraine, würde wahrscheinlich niemals etwas besitzen, weder eine vom Sausen der Arbeit erfüllte Fabrik noch einen Palast mit stolzer Fassade. Und er, er war der Unkluge, und die beiden andern waren die Klugen: er, unordentlich, ohne Voraussicht in seiner Armut, die er leichtsinnig vermehrte durch seine Schar Kinder, als ob er geschworen hätte, mit seiner ganzen Herde von Armseligen auf dem Stroh zu enden; die beiden andern, die sich den Luxus hätten gestatten können, eine zahlreiche Familie hervorzubringen, enthielten sich dessen infolge einer höheren Vorsicht, mißtrauten dem Leben, wollten keine zahlreiche Nachkommenschaft, wollten nur Glückliche hinterlassen. Offenbar waren jene, die alles das besaßen, was er nie besitzen würde, im Rechte, auf seiten der gesunden Vernunft, während er selbst anfing, sich verächtlich vorzukommen, dem Elend überliefert, das Opfer einer ungeheuren Narretei.
    Das Bild Sérafinens kam wieder, verschärfte sich, drängte sich ihm auf mit der Kraft unwiderstehlicher Begierde. Mit ihr würde er nicht davor zurückschrecken zu unterschlagen würde er vernünftig sein. Und ein leichter Schauer überlief ihn, als er in den Lichtkreis des Nordbahnhofes trat, in das Gedränge des Bahnhofeinganges, in welchem er die Brunft der fiebernden Menge wiederfand. Dort drüben war Marianne, war wieder ein Kind, in der ehrbaren, unvermeidlichen Umarmung nach der Rückkehr aus diesem Glutofen. Wieder ein Kind, das fünfte, der reine Wahnsinn, der gewollte, herbeigeführte, verdiente Ruin. Und da er schon vier hatte, so würde selbst Boutan ihm sagen: »Die Rechnung stimmt.« Warum also im Irrtum beharren? Warum es nicht heute machen wie Beauchêne, der ein Schlauer war? Während seine Frau ihn geduldig erwartete, war er bei Norine, als wohlerfahrener Lebemann, ohne irgendwelche Folgen befürchten zu müssen. Die Religion des Vergnügens war zweifellos die

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