Fruchtbarkeit - 1
wurde. »Wenigstens sagt er es.«
Bis nun hatte sich Séguin damit begnügt, sein leichtes, höhnisches Lächeln zu verstärken, indem er mit dem Schriftsteller verständnisvolle Blicke tauschte. Ihr literarischer Nihilismus, ihr Ideal einer raschen Vertilgung der Menschheit wurde von Doktor Gaude in glücklichster Weise in die Tat umgesetzt. Und er konnte es sich nicht versagen, dieses spießbürgerliche junge Ehepaar in starres Erstaunen zu versetzen durch die Betonung seiner Theorie der Verneinung, die ihm von eleganter und überlegener Grausamkeit schien.
»Ah, krank oder nicht, er soll sie nur alle unter das Messer nehmen. Um so schneller ist es dann zu Ende!«
Nur Sérafine lachte. Marianne war von dem Ausspruch entsetzt. Voll Angst und Abscheu betrachtete sie besonders Santerre, dessen letzten Roman sie sich erinnerte gelesen zu haben: eine Liebesgeschichte, die ihr albern und wahnwitzig geschienen hatte, zu solch ausgeklügelten und abgeschmackten Erfindungen verstieg sich darin der Haß gegen das Kind. Tod dem Kinde, das war also der Wahlspruch dieser glücklichen Welt, die von egoistischer Genußsucht und hinaufgeschraubter Unvernunft verdreht war. Mit einem Blick teilte sie Mathieu ihren Ueberdruß mit, ihren Wunsch, langsam an seinem Arm über die sonnenbeschienenen Kais nach Hause zurückzukehren. Auch er litt in diesem prächtigen, von feinstem Luxus erfüllten Raume unter solchem Wahnwitz, inmitten so außerordentlichen Reichtums. War das der Preis einer überspitzten Zivilisation, diese kraftlose Wut gegen das Leben, die nur mehr den einen Gedanken hat, es zu zerstören? Er glaubte zu ersticken gleich seiner Frau, und er gab ihr ein Zeichen, zu gehen.
»Wie, Sie gehen schon?« rief Valentine. »Ich wage es nicht, Sie zurückzuhalten, wenn Sie sich ermüdet fühlen.«
Und da Marianne sie bat, die Kinder für sie zu küssen, rief sie: »Richtig, Sie haben Sie gar nicht gesehen! Nein, nein, warten Sie, ich will, daß Sie sie selbst küssen.«
Aber als Céleste auf den Ruf der Klingel erschien, sagte sie, daß Monsieur Gaston und Mademoiselle Lucie mit der Erzieherin ausgegangen seien. Darauf folgte ein neuer Sturm, Séguin fragte wütend, seit wann sich die Erzieherin erlaube, die Kinder so mit fortzunehmen, ohne etwas zu sagen? Wenn man also die Kinder da haben wolle, um sie zu umarmen, so könne man sie nicht einmal haben? Sie gehörten der Dienerschaft an, es sei die Dienerschaft die das Haus regiere. Valentine weinte.
»Mein Gott!« rief Marianne, als sie draußen froh am Arme ihres Mannes aufatmete. »Mein Gott, sie sind alle verrückt in diesem Hause!«
»Ja,« erwiderte Mathieu, »sie sind verrückt, und vor allem sind sie unglücklich.«
3
Einige Tage später hatte Mathieu eines Morgens zu lange bei seiner Frau verweilt und schritt, es war nahe an neun Uhr, eilig durch den kleinen Garten, der sein Wohnhäuschen von dem Fabrikhof trennte, als er mit Constance und Maurice zusammentraf, die, in Pelze gekleidet, im Begriffe waren, in der kalten Morgenluft des schönen Wintertages einen Spaziergang zu unternehmen.
Beauchêne, der sie, kraftbewußt und siegesgewiß wie immer, barhaupt bis zum Gitter begleitete, rief mit lauter Stimme: »Und laß mir ihn ordentlich marschieren, den Kerl! Er soll frische Luft schöpfen! Es geht nichts über Luft und gutes Essen, um einem Kraft zu geben.«
Mathieu war stehen geblieben. »Ist er wieder krank?«
»O nein!« beeilte sich die Mutter zu antworten, die ebenfalls eine frohe Miene zeigte, vielleicht weil sie unbewußt das Bedürfnis empfand, gewisse Befürchtungen vor sich selbst zu verbergen. »Aber der Doktor will, daß er sich Bewegung macht, und es ist heute morgen so schön, daß wir uns nun auf den Weg machen. Die scharfe Kälte ist sehr unangenehm.«
»Geht nicht über die Kais,« rief ihnen Beauchêne noch nach, geht über die Esplanade. – Ah, er wird schon marschieren lernen, wenn er einmal Soldat ist!«
Und als er mit Mathieu in die Fabrik zurückkehrte, fügte er mit seiner triumphierenden Sicherheit hinzu: »Er ist ja stark wie ein Baum, der Bursche. Aber was wollen Sie? Die Frauen sind immer ängstlich. Ich für meinen Teil bin ganz ruhig, wie Sie sehen.«
Dann mit lautem Lachen: »Wenn man nur einen hat, so behält man ihn.«
Diesen Vormittag versetzte ein wütender Zank, der in der Frauenwerkstätte zwischen den beiden Schwestern Norine und Euphrasie ausbrach, die ganze Fabrik in Aufruhr. Norine, die sich im sechsten
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