Fruchtbarkeit - 1
Beauchênes stellte plötzlich die Ruhe her. Erschrocken und eingeschüchtert wichen die Arbeiterinnen zurück und schlichen sich leise auf ihre Plätze, während Norine und Euphrasie sich keuchend erhoben, die Haare aufgelöst, die Kleider zerrissen, noch so blind vor Raserei, daß sie kaum die Anwesenden erkannten.
»Seid ihr denn verrückt?« fuhr Beauchêne mit seiner ganzen majestätischen Würde fort. »Hat man je zwei Schwestern sich so balgen gesehen wie die Lastträger! Und ihr wählt euch die Werkstätte dazu aus, ihr benutzt die Arbeitsstunden, um euch in den Haaren zu liegen! Was gibt es denn? Was habt ihr denn?«
In diesem Augenblick trat Vater Moineaud, den irgendeine gefällige Seele geholt haben mußte, um ihm zu sagen, daß seine Töchter sich oben zerfleischten, mit seiner gewöhnlichen gelassenen und unbeweglichen Miene ein; fünfundzwanzig Jahre harter Arbeit hatte den alten Arbeiter stumpf gemacht. Aber niemand bemerkte ihn, und Euphrasie, die ihm den Rücken zukehrte, schrie, von einem neuen Anfall sinnloser Wut erfaßt, in der Furcht vor Strafe und bestrebt sich zu entlasten, Norine ins Gesicht: »Ja, ich habe gesagt, daß du mir mein Papier genommen hast, und es ist wahr, daß du es genommen hast, und es ist wahr, daß du dir damit den Bauch reiben mußt, wenn du nicht dicker werden willst!«
Ersticktes Gelächter lief neuerdings durch die Reihen der Arbeiterinnen. Dann entstand ein tiefes Schweigen. Norine schwanger! Diese plötzliche Enthüllung erschütterte Mathieu so sehr, erfüllte ihn mit einem solchen Verdachte, daß er den Blick auf Beauchêne heftete. Aber dieser hatte den Stoß empfangen, ohne zu wanken, war nur ganz leicht erbebt unter der peinlichen Ueberraschung, daß hier unter so unerwarteten Umständen eine Tatsache hinausgeschrien wurde, die früher oder später ohnehin hätte an den Tag kommen müssen. Er bewahrte seine Haltung und nahm eine sehr würdevolle Miene an, während Euphrasie fortfuhr, ihre betäubte Schwester herabzuwürdigen.
»Das ist ein Skandal, ein unerhörter Skandal!« beeilte sich Beauchêne wieder zu sagen, indem er abermals die Stimme erhob. »Mademoiselle Euphrasie, Sie werden jetzt schweigen, ich dulde kein Wort mehr!«
Er sprach ein wenig unsicher, denn ihn mochte wohl die Furcht beschleichen, daß das wütende Mädchen die Geschichte kenne und sie vielleicht, in der Raserei, in der sie war, hier laut erzählen werde. Aber die Aeltere mißtraute ihrer Schwester zu sehr, um ihr ihre Geheimnisse anzuvertrauen. Er erriet dies, als er dem Blick des unglücklichen, weinenden Mädchens begegnete, dem Blick eines armen, hilflosen, demütigen Geschöpfes, das ihm alles versprach, wenn er sie nicht verlassen wolle. Er gewann wieder die imposante Haltung des allmächtigen Herrn, während Euphrasie mit ihrer Stimme sagte:
»Oh, Monsieur Beauchêne, ich habe nichts mehr zu sagen. Ich konnte das nur nicht länger für mich behalten, und wenn es der Vater nun erfährt, so liegt mir nichts daran.«
Der Vater war hinter ihr stehen geblieben und hatte die ganze häßliche Geschichte mitangehört. Es war ihm sehr verdrießlich, daß man ihn geholt hatte. Er war ein Mann, der Zank und Lärm nicht liebte; er war müde der Quälereien dieser armseligen Welt, war zu der Erkenntnis gelangt, daß es ihm, mochte er noch so sehr arbeiten, nie gelingen würde, das Elend dieses Lebens zu besiegen. Er hatte sich daher in das Unvermeidliche gefunden, wußte ganz gut, daß die Söhne und Töchter meist schlecht wurden, trachtete nur, sich einen ruhigen Winkel zu verschaffen, in dem er die Augen zudrückte. Und jetzt zwang man ihn, böse zu werden. Als er jedoch sah, daß es kein Ausweichen mehr gebe, trat er sehr eindrucksvoll auf, empfand wirkliche Empörung bei dem Gedanken, so vor aller Welt entehrt worden zu sein. Er stürzte sich auf Norine mit erhobener Faust, mit bebender Stimme.
»Es ist also wahr, du sagst nicht nein? Ha, die Elende, ich bringe sie um!«
Aufs neue legten sich Mathieu und Morange ins Mittel und hielten den Vater zurück, der dann ausrief: »Sie soll gehen, sie soll sofort gehen, oder es geschieht ein Unglück! Und sie soll nie wieder den Fuß in mein Haus setzen; wenn ich sie heute Abend finde, werfe ich sie zum Fenster hinaus!«
Norine flüchtete vernichtet vor den väterlichen Verwünschungen. Sie steckte hastig ihre schönen Haare auf, faßte die Fetzen ihrer Bluse zusammen und eilte zur Tür, hinaus unter dem eisigen Schweigen der
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