Frühe Erzählungen 1893-1912
letzten Jahre ausfragten, in gehobener, beinahe exaltierter Stimmung zu sein. Seine Augen leuchteten, und seine Bewegungen waren groß und weit. Dabei sah er schlecht aus, wirklich krank. Ich habe jetzt freilich leicht reden; aber es fiel mir thatsächlich auf, und ich sagte es ihm sogar gradezu.
»So, noch immer?« fragte er. »Ja, ich glaube es wohl. Ich bin viel krank gewesen. Noch im letzten Jahre lange sogar schwer krank. Es sitzt hier.«
Er deutete mit der linken Hand auf seine Brust.
»Das Herz. Es ist von jeher dasselbe gewesen. – In letzter Zeit fühle ich mich aber sehr gut, ganz ausgezeichnet. Ich kann sagen, daß ich ganz gesund bin. Übrigens mit meinen dreiundzwanzig Jahren – es wäre ja auch traurig …«
Seine Laune war wirklich gut. Er erzählte heiter und lebendig von seinem Leben seit unserer Trennung. Er hatte bald nach derselben bei seinen Eltern es durchgesetzt, Maler werden zu dürfen, war seit etwa dreiviertel Jahren mit der Akademie fertig, – soeben war er nur zufällig dort gewesen – hatte einige Zeit auf Reisen, besonders in Paris gelebt und sich nun seit ungefähr fünf Monaten hier in München niedergelassen … »Wahrscheinlich für lange Zeit – wer weiß? Vielleicht für immer …«
»So?« fragte ich.
»Nun ja? Das heißt – warum nicht? Die Stadt gefällt mir, gefällt mir ausnehmend! Der ganze Ton – wie? Die Menschen! Und – was nicht unwichtig ist – die sociale Stellung als Maler, auch als ganz unbekannter, ist ja exquisit, ist ja nirgends besser …«
»Hast Du angenehme Bekanntschaften gemacht?«
»Ja. – Wenige, aber sehr gute. Ich muß Dir zum Beispiel eine {54} Familie empfehlen … Ich lernte sie im Fasching kennen … Der Fasching ist reizend hier –!
Stein
heißen sie.
Baron
Stein sogar.«
»Was ist denn das für ein Adel?«
»Was man Geldadel nennt. Der Baron war Börsenmann, hat früher in Wien eine kolossale Rolle gespielt, verkehrte mit sämtlichen Fürstlichkeiten und so weiter … Dann geriet er plötzlich in Décadence, zog sich mit ungefähr einer Million – sagt man – aus der Affaire und lebt nun hier, prunklos, aber vornehm.«
»Ist er Jude?«
»Er, glaube ich, nicht. Seine Frau vermutlich. Ich kann übrigens nicht anders sagen, als daß es äußerst angenehme und feine Leute sind.«
»Sind da – Kinder?«
»Nein. – Das heißt – eine neunzehnjährige Tochter. Die Eltern sind sehr liebenswürdig …«
Er schien einen Augenblick verlegen und fügte dann hinzu:
»Ich mache Dir ernstlich den Vorschlag, Dich von mir dort einführen zu lassen. Es wäre mir ein Vergnügen. Bist Du nicht einverstanden?«
»Aber gewiß. Ich werde Dir dankbar sein. Schon um die Bekanntschaft dieser neunzehnjährigen Tochter zu machen –«
Er blickte mich von der Seite an und sagte dann:
»Nun schön. Schieben wir es dann nicht lange hinaus. Wenn es Dir paßt, komme ich morgen um ein Uhr herum oder halb zwei und hole Dich ab. Sie wohnen Theresienstraße 25, erster Stock. Ich freue mich darauf, ihnen einen Schulfreund von mir zuzuführen. Die Sache ist abgemacht.«
In der That klingelten wir am nächsten Tage um die Mittagszeit in der ersten Etage eines eleganten Hauses in der Theresienstraße. Neben der Glocke war in breiten, schwarzen Lettern der Name Freiherr von Stein zu lesen.
{55} Paolo war auf dem ganzen Wege erregt und beinahe ausgelassen lustig gewesen; jetzt aber, während wir auf das Öffnen der Thür warteten, nahm ich eine seltsame Veränderung an ihm wahr. Alles an ihm war, während er neben mir stand, bis auf ein nervöses Zucken der Augenlider, vollkommen ruhig, – von einer gewaltsamen, gespannten Ruhe. Er hatte den Kopf ein wenig vorgestreckt. Seine Stirnhaut war gestrammt. Er machte beinahe den Eindruck eines Tieres, das krampfhaft die Ohren spitzt und mit Anspannung aller Muskeln horcht.
Der Diener, der unsere Karten davontrug, kehrte zurück mit der Aufforderung, einen Augenblick Platz zu nehmen, da Frau Baronin sofort erscheinen werde, und öffnete uns die Thür zu einem mäßig großen, dunkel möblierten Zimmer.
Bei unserem Eintritt erhob sich im Erker, von dem aus man auf die Straße hinausblickte, eine junge Dame in heller Frühlingstoilette und blieb einen Augenblick mit forschender Miene stehen. »Die neunzehnjährige Tochter«, dachte ich, indem ich unwillkürlich einen Seitenblick auf meinen Begleiter warf, und: »Baronesse Ada!« flüsterte er mir zu.
Sie war von eleganter Gestalt, aber
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