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Frühe Erzählungen 1893-1912

Frühe Erzählungen 1893-1912

Titel: Frühe Erzählungen 1893-1912 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Er lachte kurz auf und wandte den Kopf nach der anderen Seite.
    »Ja, Du lachst!« sagte ich. »Und da oben dünkte es mich zuweilen, als trübe-geheime Sehnsucht Deinen Blick. Aber ich bin im Irrtum?«
    Er schwieg einen Augenblick. Dann schüttelte er langsam den Kopf.
    »Wenn ich nur wüßte, woher Du …«
    »Aber sei so gut! – Die
Frage
ist für mich nur noch, ob auch Baronesse Ada …«
    Er sah wieder einen Augenblick stumm vor sich nieder. Dann sagte er leise und zuversichtlich:
    »Ich glaube, daß ich glücklich sein werde.«
    Ich trennte mich von ihm, indem ich ihm herzlich die Hand schüttelte, obgleich ich innerlich ein Bedenken nicht unterdrücken konnte.
    Es vergingen nun ein paar Wochen, in denen ich hin und wieder gemeinsam mit Paolo den Nachmittagsthee in dem freiherrlichen Salon einnahm. Es pflegte dort ein kleiner, aber recht angenehmer Kreis versammelt zu sein: Eine junge Hofschauspielerin, ein Arzt, ein Offizier – ich entsinne mich nicht jedes einzelnen.
    An Paolos Benehmen beobachtete ich nichts Neues. Er befand sich gewöhnlich trotz seines besorgniserregenden Aussehens in gehobener, freudiger Stimmung und zeigte in der Nähe der Baronesse jedesmal wieder jene unheimliche Ruhe, die ich das erste Mal an ihm wahrgenommen hatte.
    {59} Da begegnete mir eines Tages – und ich hatte Paolo zufällig zwei Tage lang nicht gesehen – in der Ludwigstraße der Baron von Stein. Er war zu Pferde, hielt an und reichte mir vom Sattel aus die Hand.
    »Erfreut, Sie zu sehen! Hoffentlich lassen Sie sich morgen nachmittag bei uns blicken?«
    »Wenn Sie gestatten, zweifellos, Herr Baron. Auch wenn es irgendwie zweifelhaft wäre, daß mein Freund Hofmann wie jeden Donnerstag kommen wird, mich abzuholen …«
    »Hofmann? Aber wissen Sie denn nicht – er ist ja abgereist! Ich dachte doch,
Sie
hätte er davon unterrichtet.«
    »Aber mit keiner Silbe!«
    »Und so vollkommen à bâton rompu … Das nennt man Künstlerlaunen … Also morgen Nachmittag! –«
    Damit setzte er sein Tier in Bewegung und ließ mich höchst verdutzt zurück.
    Ich eilte in Paolos Wohnung. – Ja, leider; Herr Hofmann sei abgereist. Eine Adresse habe er nicht hinterlassen.
    Es war klar, daß der Baron von mehr als einer »Künstlerlaune« wußte. Seine Tochter selbst hat mir das, was ich ohnehin mit Bestimmtheit vermutete, bestätigt.
    Das geschah auf einem Spaziergang ins Isarthal, den man arrangiert hatte, und zu dem auch ich aufgefordert worden war. Man war erst nachmittags ausgezogen, und auf dem Heimwege zu später Abendstunde fügte es sich, daß die Baronesse und ich als letztes Paar der Gesellschaft nachfolgten.
    Ich hatte an ihr seit Paolos Verschwinden keinerlei Veränderung wahrgenommen. Sie hatte ihre Ruhe vollständig bewahrt und meines Freundes bis dahin mit keinem Worte Erwähnung gethan, während ihre Eltern sich über seine plötzliche Abreise in Ausdrücken des Bedauerns ergingen.
    Nun schritten wir nebeneinander durch diesen anmutigsten {60} Teil der Umgebung Münchens; das Mondlicht flimmerte zwischen dem Laubwerk, und wir lauschten eine Weile schweigend dem Geplauder der übrigen Gesellschaft, das ebenso einförmig war, wie das Brausen der Wasser, die neben uns dahinschäumten.
    Da begann sie plötzlich von Paolo zu sprechen, und zwar in einem sehr ruhigen und sehr sicheren Ton.
    »Sie sind seit früher Jugend sein Freund?« fragte sie mich.
    »Ja, Baronesse.«
    »Sie teilen seine Geheimnisse?«
    »Ich glaube, daß sein schwerstes mir bekannt ist, auch ohne daß er es mir mitgeteilt.«
    »Und ich darf Ihnen vertrauen?«
    »Ich hoffe, daß Sie nicht daran zweifeln, gnädiges Fräulein.«
    »Nun gut«, sagte sie, indem sie den Kopf mit einer entschlossenen Bewegung erhob. »Er hat um meine Hand angehalten, und meine Eltern haben sie ihm verweigert. Er sei krank, sagten sie mir, sehr krank – aber gleichviel: Ich
liebe
ihn. Ich darf so zu Ihnen sprechen, nicht wahr? Ich …«
    Sie verwirrte sich einen Augenblick und fuhr dann mit derselben Entschlossenheit fort:
    »Ich weiß nicht, wo er sich aufhält; aber ich gebe Ihnen die Erlaubnis, ihm meine Worte, die er aus meinem eigenen Munde schon vernommen hat, zu wiederholen, sobald Sie ihn wiedersehen, sie ihm zu schreiben, sobald Sie seine Adresse ausfindig gemacht haben: Ich werde niemals einem anderen Manne die Hand reichen, als ihm. Ah – wir werden sehen!«
    In diesem letzten Ausruf lag neben Trotz und Entschlossenheit ein so hilfloser Schmerz, daß ich

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