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Frühling der Barbaren

Frühling der Barbaren

Titel: Frühling der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Lüscher
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höchsten akademischen Weihen unter ihnen zu ihrem Führer wählten. Sanford, die Gelegenheit ergreifend und den Speiseaal augenblicklich in einen Hörsaal verwandelnd, dozierte die Handlungsalternativen, welche sich im Wesentlichen auf die beiden Möglichkeiten, vor die ihn Saida gestellt hatte, beliefen, die Sanford aber weit weniger trocken und unmissverständlich an den Mann brachte. Dennoch brach ein Sturm der Entrüstung aus, und es war nur seinem eloquent formulierten Aufruf nach Ruhe und Besonnenheit zu verdanken, wiewohl nicht ausgeschlossen werden sollte, dass auch die Katerkopfschmerzen, die die meisten der Anwesenden plagten, eine Rolle gespielt haben könnten, dass der vorgeschlagene Sturm auf die Küche, um ein erstes Zeichen zu setzen, dass man sich so nicht behandeln ließe, ausblieb. Fatalerweise hatte das Unterbinden dieses Gemeinschaft stiftenden Aktionismus zur Folge, dass Sanfords Rufe nach Einigkeit und Solidarität in dieser schweren Stunde ungehört verhallten und sich die Versammlung, als die ersten Kündigungsmails auf den Telefonen eintrafen, in kleine Gruppen zersplitterte und auf ganz unterschiedliche Art und Weise mit dem Zusammenbruch ihrer Welt zurechtzukommen versuchte.
    Willy und Quicky, beide mit einem untrüglichen Gespür für soziale Schranken ausgestattet, hatten sofort begriffen, dass diese jetzt gefallen waren, und bildeten bald eine verhängnisvolle Mesalliance. Sie waren sich einig, dass man die Sache ganz ruhig angehen sollte, was bedeutete, dass man sich am Pool niederzulassen gedachte, um mit ein paar Bier und eventuell einem Sprung ins kühle Wasser die Nachwirkungen der vergangenen Nacht zu bekämpfen. Dann, ja dann, wenn man wieder einen klaren Kopf habe, könne man auch anfangen, sich Sorgen zu machen. Sanfords Mahnung, Saida sei hinsichtlich der Benutzung des Pools ausgesprochen klar gewesen, wurde in den Wind geschlagen, und ein Trupp von dreißig Mann schloss sich Quicky und Willy an. In der Tat hatte Saida zur Durchsetzung ihres Badeverbots nur wenig aufzubieten. Rachid, mit nichts als einem Kescher bewaffnet und von seiner freundlichen Hündin mit den tapsigen Welpen flankiert, hatte zwar ausdrückliche Anweisung, alle außer Preising vom Schwimmen und der Benutzung der Sonnenliegen abzuhalten, scheute aber klugerweise angesichts der anrückenden Übermacht die direkte Konfrontation und zog sich nach einem kurzen, über die Länge des in der Sonne glitzernden Schwimmbeckens geführten Wortgefecht, bei dem sich Quicky seines in Basra und Um Qasr angeeigneten bellenden Arabisch bediente, in den angrenzenden Palmenhain zurück, von wo aus er die Gruppe mit einigen Würfen mit grünen Datteln bedachte, die aber alle ins Leere gingen.
    Saida, tatkräftig, den Blick nach vorne gerichtet, hatte unterdessen damit begonnen, den wirtschaftlichen Schaden für die zweifellos nahende Durststrecke zu begrenzen und hatte zu diesem Zweck den größten Teil der Belegschaft ausbezahlt und auf unbestimmte Zeit in ihr Dorf am entlegenen Ende der Oase zurückgeschickt, man solle sich darauf besinnen, womit man sich vor dem Eintreffen der Familie Malouch den Lebensunterhalt verdient habe, und bessere Zeiten kämen bestimmt wieder. Die dienstbaren Angestellten, die in ihren blütenweißen Pluderhosen, den ochsenblutroten Westen und mit den dünnen gelben Umschlägen in den Händen nach Hause trotteten, wurden allerdings an der Poolbar von Willy, der krakeelend nach Bier verlangte, bereits vermisst, und als keiner auftauchte, der ihm ein solches zu verschaffen in der Lage war, zerschmetterte er mit einem Tennisschläger die Scheibe des abgeschlossenen Getränkekühlschranks und machte sich bei seinen neuen Freunden mit dem großzügigen Verteilen von Flaschen beliebt.
    Nahezu synchron kündigte ein polyfones Fiepen, Piepen und Brummen die nächste Kündigungswelle an. Diesmal traf es Quicky und einen Großteil der um das Becken versammelten jungen Männer und Frauen, denn es waren ihm vor allem jene gefolgt, die sich auch in der City täglich um ihn scharten, dort allerdings als Teil des von ihm geführten Teams von Analysten und Händlern, eines Teams, welches der Bank in den letzten Jahren durch besonders wagemutiges und kaltblütiges Handeln viele Hundert Millionen und, jetzt, da alles am Zusammenbrechen war, vermutlich ein Vielfaches davon an Verlusten eingebracht hatte. In der Gracechurch Street kroch derweil im fünfzehnten Stockwerk eine junge Frau im marineblauen Bleistiftrock,

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