Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frühling der Barbaren

Frühling der Barbaren

Titel: Frühling der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Lüscher
Vom Netzwerk:
englischen Banken ausgegebenen Kreditkarten gesperrt, vermutlich war aber sowieso der ganze internationale Zahlungsverkehr am Zusammenbrechen.
    Slim Malouch war, so beschied ihr die Sekretärin ihres Vaters, auch für seine Tochter nicht zu sprechen. Saida verfluchte jene Wohnung in einem mittelständischen Neubaugebiet am Rande von Tunis, von der sie eigentlich keine Kenntnis haben sollte und in der sie ihn vermutete. Sie würde für die nächsten Stunden auf sich selbst gestellt sein. Es wurde Zeit zu handeln.
    Sanford wurde vom energischen Bimmeln einer kleinen Glocke geweckt, wusste erst nicht, wo er sich befand, registrierte dann das Fehlen seiner Frau, brauchte eine ganze Weile, bis er seine mageren Beine aus dem verhedderten Laken befreit hatte, und suchte brummend nach seinem Bademantel. Saida, die Hand noch immer am Klöppel der messingenen Glocke, die zur Anmeldung des Personals diente – einer der vielen Nachteile der Zeltbauweise des Resorts, an eine Zeltbahn lässt sich nicht wie an eine Tür klopfen –, lauschte angestrengt nach einem Lebenszeichen, strich, als sie die schlurfenden Schritte des Engländers vernahm, ihre Anzughose glatt und zog sicherheitshalber noch an den Schößen ihres Jacketts, bereit, so dem Vater des Bräutigams, den sie in dieser heiklen Lage zu ihrem Gesprächspartner auserkoren hatte, nicht nur zu verkünden, dass der Premierminister seiner Heimat eben den Staatsbankrott bekannt gegeben habe, sondern auch, dass sein Sohn, der Talfahrt des Britischen Pfundes geschuldet, eine Hotelrechnung von soundso viel – hier nannte sie eine Zahl, die Sanford ganz und gar fantastisch vorkam, wiewohl er sich doch in den letzten drei Jahren, wie alle anderen auch, an große Zahlen gewöhnt hatte – angehäuft habe, die wohl zu bezahlen äußerst schmerzhaft würde. Leider habe sie auch die Pflicht mitzuteilen, dass offensichtlich alle Kreditkarten englischer Banken gesperrt seien, so vermutlich auch seine, ob vielleicht er oder sein Sohn irgendwo ein Konto in Fremdwährungen führten, das könne jetzt sehr nützlich sein, um die, es tue ihr aufrichtig leid, wohl unausweichlichen Unannehmlichkeiten abzufedern.
    Sanford, angetan mit einem ausgesprochen bauschigen Frotteebademantel und türkisen Ziegenlederpantoffeln, nahm innerlich sofort eine Kampfstellung ein. Er hatte es schon immer gewusst, dass es so weit kommen würde. Er war bereit. Er hatte es doch schon immer gesagt. Ihn überraschte das nicht. Allerdings überraschten ihn dann die unmittelbaren Konsequenzen, die ihm Saida zwar ungern, denn nun ließ sich ihr monetäres Interesse nicht mehr hinter einem schmucken Schleier der Gastfreundschaft verbergen, aber dennoch sehr bestimmt präsentierte.
    Entweder, so stellte sie ihn vor die Wahl , gelinge es ihnen, die Rechnung mit vereinten Kräften sofort und nachweislich zu begleichen – eine gute Möglichkeit sei zum Beispiel eine Zahlung in Schweizer Franken auf ein Konto der Familie Malouch in Genf, in diesem Fall wäre man sogar bereit, über einen signifikanten Nachlass zu sprechen –, oder aber sie müsse darauf bestehen, dass die Gesellschaft das Resort bis spätestens nachmittags um zwei zu verlassen habe. Ein einfaches Frühstück stehe bereit, ansonsten sei es nun ihre Pflicht, dafür zu sorgen, dass bis zur Klärung der unangenehmen Situation keine weiteren Kosten verursacht würden, die Annehmlichkeiten des Resorts, der Spa-Bereich, die Tennisplätze, der Pool und selbstverständlich alle gastronomischen Einrichtungen, stünden demnach nicht mehr zur Verfügung, und sie bitte darum, den Energieverbrauch und das Duschen auf ein notwendiges Minimum zu beschränken.
    Sanford begann bereits zu ahnen, dass er auf die Dinge, die nun kamen, schlecht vorbereitet war und es auch keine Rolle spielen würde, dass er es ja schon immer gesagt hatte. Dennoch waren das genau die Worte, mit denen er seine Frau an ihrem Lieblingsplatz aufstöberte, wo sie seit dem Morgengrauen in denkbar trübster Stimmung saß, sich ganz gegen ihre Gewohnheit kaum auf ihr Buch konzentrieren konnte und sich auch durch den spektakulären Sonnenaufgang und die immer höher kletternden Temperaturen ihre Stimmung nicht aufhellen ließ. Pippa nahm die schlechte Nachricht resigniert zur Kenntnis und bemerkte, dass sie das habe kommen sehen. Sie war sich nicht sicher, ob sich deswegen die Welt auf eine bedeutsame Art und Weise ändern würde, ob deswegen Dinge wie zum Beispiel das Rezitieren eines Gedichtes wieder

Weitere Kostenlose Bücher