Frühling der Barbaren
an Bedeutung gewinnen würden, und sie weigerte sich, ihren Mann bei seinem schwierigen Gang, die Frischvermählten von ihrem Ruin und der drohenden Arbeitslosigkeit zu unterrichten, zu begleiten; ihr Platz sei in diesem Moment genau hier, unter der unbarmherzig brennenden Sonne Afrikas, hier werde sie bleiben, sie habe sich über bestimmte Dinge Klarheit zu verschaffen, Dinge, die mit Kursverlusten und Märkten nichts, aber auch gar nichts zu tun hätten. In einer anderen Lage hätte sich Sanford vielleicht über den ungewohnt pathetischen Ton gewundert, so aber blieb ihm nichts anderes übrig, als einem unrasierten Merkur gleich in Trekkingsandalen davonzuschlappen und seinen Sohn über etwas aufzuklären, dessen Tragweite er selbst noch nicht ermessen konnte.
«Ich stand», so berichtete Preising, «gerade vor meinem Zelt, in Schwimmbekleidung, ein Badetuch unter dem Arm, bereit, noch vor dem Frühstück ein paar Bahnen zu ziehen, als Sanford, wohl auf dem Weg zu Marc und Kellys Hochzeitssuitenzelt, zielstrebig an mir vorbeieilte. «Der Pool ist gesperrt», rief er mir über die Schulter zu, «und duschen Sie nicht zu lange.» Er konnte ja nicht wissen, dass Saidas neue Hausordnung, von der ich zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch nichts wusste, für mich nicht galt. Ich vermutete, der Pool sei als Folge der exzessiven Feier unbrauchbar, zog mich an und schritt direkt zum Frühstück, wo ich mich sogleich in einer außergewöhnlich unkommoden Situation wiederfand. Denn ganz gegen meine Erwartungen fand ich im Speisesaal nicht das gewohnte üppige Frühstücksbuffet vor, statt der überbordenden Fruchtkörbe, der Krüge mit den frischen Säften, den gekühlten Platten mit französischem Käse, Roastbeef und spanischem Schinken, den Etageren mit Patisserie und den Brettern mit in weiße Servietten gewickelten Baguettes, standen nur ein Korb Fladenbrot, eine Schüssel Kichererbsenpaste und ein paar Thermoskannen Kaffee auf der langen Tafel, und ein einzelner Kellner räumte gerade die letzten unbenutzten Porzellanteller und das Silberbesteck weg, um dann mit großer Geste die Damastdecken von den Resopaltischen zu ziehen. Saida aber hatte es nicht unterlassen, obschon sie sicher Wichtigeres zu tun hatte, Order zu geben, mir am Rande des Speisesaals einen kleinen Tisch einzudecken, der sich unter der Last der Speisen beinahe bog. Obwohl», so versicherte mir Preising, »ich ja noch keine Kenntnis der veränderten Weltlage und der unmittelbaren Auswirkungen auf unsere kleine Oase hatte und die Bedeutung dieses seltsamen Arrangements unmöglich richtig einordnen konnte, verspürte ich einen deutlichen Widerwillen, mich an jenem Tisch niederzulassen, und ich hatte gerade vor, diskret den Rückzug anzutreten, als mich der Kellner entdeckte und mich, einen Berg Damastdecken auf dem Arm, wortreich zu dem tatsächlich für mich bestimmten Tisch geleitete.
Bald tauchte Saida auf, mit meinem Milchkaffee, den schlechten Nachrichten und einigen Ausdrucken der Onlineausgabe des Figaro – die Internetseiten der Times und der Financial Times ließen sich beunruhigenderweise bereits nicht mehr erreichen. Ich kann wirklich nicht behaupten, dass ich sonderlich überrascht war, ich hatte es schon immer gewusst, dass es eines Tages so kommen würde, vielleicht nicht so schnell, nicht praktisch über Nacht, aber dass es letzten Endes nur eine Frage der Zeit war, das war mir schon lange klar.
Saida informierte mich, sie habe bereits meinen Transfer zum Flughafen veranlasst, da nun in der Heimat sicherlich weitreichende Entscheidungen auf mich warteten. Allerdings sei es im Moment recht ungewiss, wann ein adäquater Wagen eintreffe. Dann ließ sie mich mit meinem Frühstück allein, welches mir, das wirst du sicher verstehen, nicht so recht schmecken wollte.
Indessen begann der Speisesaal, sich langsam mit aufgeregten jungen Leuten zu füllen, die verheerende Nachricht hatte sich schnell herumgesprochen, aber man war noch dabei, sie sacken zu lassen. Man las sich gegenseitig Nachrichten von den kleinen Bildschirmen der Telefone vor, kommentierte sie mit ungläubigen Rufen, verlangte nach aktuellen Tageszeitungen und einem ordentlichen Internetzugang und begann sich mit dem Personal lauthals über das karge Frühstück zu streiten, nicht ohne sich aber eine Ecke Fladenbrot und einen Löffel Humus zu sichern, denn insgeheim hatte man bereits begriffen, dass nun andere Zeiten anbrachen. Ich empfahl mich unauffällig, sobald es die
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