Fruehling
Wurzel geschlagen hat und gut und gerade aufgeht. – Zur Erwerbsfrage, die bei jedem Wechsel, drohend und fordernd, wieder da ist, ist zu sagen, daß ich nicht vor ihr die Augen zumache und sie nicht aufschiebe, bis sie dringlicher wiederkommt; ich sehe sie und weiß immer, daß sie da ist. Wenn ich trotzdem bei der jetzigen Ortswahl ihr nicht die wichtigste Stimme gebe, so geschieht es in der immer größer gewordenen Überzeugung, daß aus meiner Arbeit heraus mir eines Tages mein Brot kommen muß; denn sie ist Arbeit und als solche nothwen
dig und es muß möglich sein (oder möglich werden) sie zu thun und zu leben, wenn sie nur gut gethan wird. Kunst ist ja ein weitester Lebensweg, und wenn ich denke, wie gering und anfängerhaft das ist, was ich bisher gethan habe, so wundert es mich nicht, daß diese Leistung (die einem fußbreiten Streifen halb-bebauten Ackers gleicht) mich nicht ernährt. Pläne tragen ja nichts und voreilig Gesäetes geht nicht auf. Geduld und Arbeit aber sind wirklich und können sich jeden Augenblick in Brot verwandeln. »II faut toujours travailler« sagte mir Rodin jedesmal sooft ich ihm von des täglichen Lebens Zwiespalt zu klagen versuchte; andere Lösung wußte er nicht und es war ja auch seine gewesen. Jahrzehnte lang verleugnete man ihn und hätte er da mit seinen Plänen gelebt und besserer Tage gewartet, so wäre alles wie über nichts über ihn weggegangen; da aber seine Welt aufstand unter den Leuten, zwang sie sie stehen zu bleiben und war ein Hindernis, mit dem man sich beschäftigen mußte. – Bei meiner Arbeit zu bleiben und alles Zutrauen zu haben nur zu ihr, das lerne ich von seinem großen und großgegebenen Beispiel, wie ich Geduld lerne von ihm; meine Erfahrung sagt mir freilich immer wieder, daß ich nicht mit sehr viel Kraft zu rechnen habe und deshalb will ich auch, solang es sich irgend machen läßt, nicht Zweierlei thun, Erwerb und Arbeit nicht trennen, vielmehr versuchen in dem einen, konzentrierten Bestreben beides zu finden: nur so kann mein Leben etwas Gutes und Nothwendiges werden, und aus ererbter und unreifer Zerrissenheit zusammenheilen zu einem tragenden Stamm.
Andreas-Salomé (12. 5. 1904), 158 f.
H einrich Vogeler fand in Worpswede den Boden für seine Wirklichkeit. Seine Kunst ist zuerst ein seliges und entzücktes Voraussagen derselben, und alle Märchen seines großen alten Skizzenbuches fangen mit den Worten: »Es wird einmal sein . .« an. Zeichnungen und Radierungen erzählen, feinstimmig und flüsternd, von dem Künftigen. Und später – in Bildern – feiert er, reif und dankbar, die Erfüllungen seines Lebens. Das ist der eigentliche Inhalt seiner Kunst. Was ihn sonst noch beschäftigt, sind Erinnerungen aus Tagen oder Träumen, die er geheimnisvoll, wie Märchen, erzählt. Ein unermüdliches Erforschen der Formen geht nebenher, das ihn immer fähiger macht, Alles, bis in die Nuancen genau so zu sagen, wie er es erlebt. Und er erlebt es ungewöhnlich und neu, so daß seine Kunstsprache sich viele Ausdrücke schaffen mußte, um seinen Erlebnissen folgen zu können.
Aber auch ganz am Anfang, als sie nur wenig Worte besitzt, gebraucht er keine fremden Ausdrücke neben ihr und bedient sich ihrer, als ob sie unerschöpflich wäre. Und in jenen frühen radierten Blättern trägt gerade das Lückenhafte und stellenweise Ungeschickte der eigenartigen Formensprache dazu bei, den Reiz des Inhaltes zu erhöhen. Es besteht ein gewisser Parallelismus zwischen diesen schütteren Strichen und dem durchscheinenden und dürftigen Wesen der allerersten Frühlingstage, von denen er erzählt. Dünne Birken, Wiesen, in denen schüchtern frühe Blumen stehen, und ein großmaschiges Netz von Ästen, durch welches überall der blasse Himmel sieht. Manchmal sitzt ein schlankes Mädchen, ein stilles, gekröntes Kind, im Gras und schaut mit weiten Augen, fortwährend staunend, den Vögeln zu, die zu Neste tragen; manchmal steht eine Burg in der Ferne und alle Wege im ganzen Land gehen neugierig auf sie zu; manchmal ist es Wald im Hintergrund und vor
dem Walde steht ein Ritter aufrecht da und bewacht das nachdenkliche Spiel der Schlangenbraut. Oder es kommt eine schmale Quelle gegangen im hohen Gras, und am Horizont vor den weißen eiförmigen Frühlingswolken taucht ein Knabe auf, ein Hund, Ziegen … Und dann kann man sehen, wie der Frühling wächst: die Bäume scheinen näher zusammenzutreten, die Wege werden heimlicher und bereiten sich vor, zu den ersten
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