Frühlingserwachen (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
Hatte er ihr tatsächlich gerade diese Frage gestellt? Innerlich brodelte sie wie ein Vulkan. Einzig die Erschöpfung hielt sie davon ab, auf William loszugehen.
„Na von Harold!“, fuhr sie ihn an. „Der alte klapprige Mann, der mich vor den Riesen gerettet hat und uns seither begleitet!“
„Arrow“, redete William sanft auf sie ein, „uns hat niemand begleitet. Es gibt hier nur uns beide und den Fenriswolf. Alles andere ist nicht real.“
Alles in ihr verkrampfte sich. Es fühlte sich an, als würde ihr jemand die Kehle zuschnüren, und sie konnte nichts weiter tun, als es zuzulassen.
Konnte sie sich denn plötzlich auf gar nichts mehr verlassen? Nicht einmal mehr auf sich selbst? War plötzlich alles nur noch ein Spiel auf Zeit? Und drohte sie etwa vor ihrem Tode noch dem Wahnsinn zu verfallen?
Ohne auch nur ein einziges Wort erwidern zu können, ließ Arrow sich wie in Trance zu Boden sinken. Noch vor wenigen Augenblicken wäre ihr Kopf vor lauter Gedanken beinahe geplatzt. Jetzt war er plötzlich leer. Nichts regte sich mehr, weder Überlegungen noch Erinnerungen. Alles war wie weggeblasen, und sie fiel in einen tiefen Schlaf.
Der Außenseiter
Als Arrow erwachte, sah sie sich um. Alles war noch immer genauso, wie es vor dem Einschlafen gewesen war. William lehnte nach wie vor an demselben Baum und schlief – oder gab zumindest vor, es zu tun – und Harold starrte etwas weiter entfernt Löcher in die Luft. Nur der Fenriswolf war nicht an seinem Platz verblieben. Wie schon beim ersten Mal hatte er sich dicht neben Arrow gelegt und schien über sie zu wachen. Dankbar tätschelte sie ihm den riesigen Kopf und schlich sich anschließend zu Harold.
„Er sagt, dass du nicht real bist“, brachte sie ihr Anliegen umgehend auf den Punkt.
Harold lachte verächtlich und schüttelte dabei den Kopf. „Das ist nur typisch für ihn. Selbst nach all den Jahren hat sich nichts geändert.“
Arrow musterte ihn eingehend. Im Grunde stimmte alles an ihm. Wäre er nur ihrer Einbildung entsprungen, so hätte sie ihn mit Sicherheit etwas geschmackvoller gestaltet. Es gab so viele Dinge, die sie an ihm nicht mochte. Zum einen sah er so dürr und fahl aus, als wäre er der Tod in Person, und zum anderen schien er auch sonst nicht besonders auf sich zu achten. Alles in allem wirkte er einfach nur gruselig. Einzig sein Haar trug er noch einigermaßen vernünftig. Aber das alles wäre ihr vermutlich noch egal gewesen, wenn er nicht so unglaublich melancholisch und herablassend wäre. Adam hatte gelegentlich vermocht ein schwaches Glimmen in seinen Augen hervorzurufen. Das hatte ihn zu einer besseren, einer liebenswerteren Person gemacht. Doch ansonsten war er einfach nur ein Häufchen Elend.
Ohne Harold eine Sekunde lang aus den Augen zu lassen, nahm Arrow am gegenüberliegenden Baum Platz. Eine Weile beobachtete sie ihn nur und versuchte, seine Gedanken zu ergründen, doch irgendwann hatte sie keine Lust mehr, eine Reaktion abzuwarten, und richtete das Wort an ihn. „Erzähle mir deine Geschichte.“
Verwunderte schaute Harold sie an. „Warum sollte ich das tun?“
„Du sagst, dass du deiner großen Liebe wegen hier her gekommen bist, doch anstatt nach ihm zu suchen, folgst du mir nur, und ich möchte gerne wissen, warum.“
„Du traust mir also nicht?“
„Ich habe noch nicht entschieden, wem von euch beiden ich trauen soll. Solange ich nur mit mir selbst ringe, wird wohl keine vernünftige Entscheidung dabei herauskommen. Ich will die Hintergründe erfahren und das kann ich nicht, solange wir nicht miteinander reden.“
Harold schien von diesen Worten überrascht. Es wirkte fast, als würde er plötzlich etwas in Arrow erkennen, das ihm bisher nie aufgefallen war. Resignierend lehnte er seinen Kopf zurück und begann wehmütig von längst vergangenen Tagen zu erzählen.
„Ich weiß gar nicht mehr, wie viele Jahre es zurück liegt, dass ich Darren zum ersten Mal begegnet bin. Damals war ich eigentlich hinter Keylam her und hatte es auf ihn abgesehen. Das lief auch eine ganze Weile recht gut, wobei ... Naja gut im Sinne von „so wie es immer gelaufen war“. Keylam hatte sogar schon begonnen, mit mir zu reden. Er war damals ein Künstler mit Leib und Seele, weshalb ihn mein Auftauchen in keiner Weise verwunderte. Vielmehr hatte es so ausgesehen, als hätte er mich schon erwartet.“
„Er hatte keine Angst?“, fragte Arrow überrascht dazwischen.
Harold schmunzelte. „Nein, die hatte er nicht.
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