Frühlingserwachen (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
tausend Stücke.“
Harold musterte sie mit verengten Augen. „Aber deine Liebe für Keylam ist weitaus stärker als die zu William.“
„Keylam?“, fragte sie stutzig. „Ich habe wirklich keine Ahnung, von wem du da sprichst.“
„Er ist dein Ehemann“, versuchte er ihr ins Gedächtnis zu rufen, doch der gewünschte Effekt blieb aus. Sie erinnerte sich einfach nicht an ihn. In einem Anfall von Panik kramte Harold jeden noch so kleinen Anhaltspunkt heraus, der wie ein wundersamer Strohhalm dabei helfen könnte, die Erinnerung an ihn zurück zu bringen. „Sein Perseide ist ein Phönix, und du bist seinetwegen in die Unterwelt gekommen. Er wurde von den Sieben Todsünden hierher verschleppt.“
Nachdenklich ging Arrow in sich, doch so sehr sie sich auch bemühte, es wollte ihr nicht einfallen.
„Aber ihr habt zusammen die Wände des Schlosses mit Bildern bemalt, und als er in einen Tod bringenden Abgrund gestürzt ist, bist du ihm hinterher gesprungen, weil dir klar gewesen war, dass du nicht mehr ohne ihn leben willst ...“
Arrow lächelte. „Das hört sich schön an. Doch ich bezweifle, etwas Derartiges jemals getan zu haben, denn ich leide schon seit vielen Jahren unter Höhenangst.“
Harold erschrak. Es ging los. Dieses Mal konnte er ihre Erinnerungen nicht wieder zurückholen. Jetzt war es anders, als in dem Moment, in dem sie unmittelbar davor stand, das Höllenreich zu betreten. Von nun an arbeitete die Zeit unaufhaltsam gegen sie, was gleichzeitig vollkommen absurd zu sein schien, denn in der Unterwelt gab es gar keine Zeit. Doch viel seltsamer war, dass es bei Arrow vergleichsweise spät begann. Unter normalen Umständen hätte sie den Wettlauf gegen den Tod längst verloren. Doch was war hier schon normal?
Harold schlug die Augen nieder. Ihm war bewusst, was jetzt alles von ihm abhing. Doch auch wenn die Zeit drängte, musste er unter allen Umständen einen kühlen Kopf bewahren. Er durfte nicht mehr Hektik aufkommen lassen, als es ohnehin schon an der Tagesordnung lag. Und Arrow musste sich jetzt schonen, bevor sie ihren Weg fortsetzte. Sie hatte schon viel zu lange nicht mehr geschlafen. Unter Druck würde alles nur noch schneller gehen. Ruhe machte sich nun in jedem Fall eher bezahlt.
„Weißt du denn inzwischen, wo wir deinen Vater finden können?“, fragte Harold beinahe resignierend.
„Soweit ich es in Erfahrung bringen konnte, hält er sich in der Welt hinter den Welten auf.“
Eigentlich hätte ihn diese Aussage treffen müssen, doch tief in seinem Inneren hatte er geahnt, dass ihr Weg sie dorthin führen würde. Und so, wie es gerade aussah, konnte es ohnehin nicht mehr viel schlimmer kommen.
Arrows Blick führte an Harold vorbei. Verträumt und traurig zugleich beobachtete sie William, der von seiner Erkundungstour zurückgekehrt war. „Gibt es denn wirklich keine Chance für uns?“, flüsterte sie verzweifelt in die Dämmerung.
„Für dich gibt es eine, doch für ihn wahrscheinlich nicht“, entgegnete Harold mitfühlend. „Er hat schon zu viel Energie in dich investiert. Für ihn gibt es kein Zurück. Wenn du ihn nicht küsst, wird das seinen Tod zur Folge haben.“
Eine einsame Träne lief über Arrows Wange. „Und wenn ich ihn doch küsse?“
„Dann ist dein Vater und alles, wofür er gekämpft hat, verloren.“
Arrow schloss die Augen und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Dann spürte sie Harolds Hand auf ihrer Schulter, die sich zum ersten Mal nicht einfach nur knochig und unangenehm anfühlte, sondern tröstend, wie die Hand eines Freundes. Mitfühlend hörte sie ihn sagen: „Ich weiß, dass du eine Schwäche für schwarzhaarige, Furcht einflößende Bestien hast, doch du kannst sie nicht alle retten.“
Ins Verderben
Als Arrow erwachte, fühlte sie sich erholt und ausgeschlafen. Suchend schaute sie sich um, konnte jedoch weder Harold noch den Fenriswolf oder William irgendwo erblicken. Nach ihnen zu rufen, wagte sie nicht. Würde sie von den Frostriesen entdeckt, hätte sie mit Sicherheit keine Chance, ihnen zu entkommen. Allein der Fenriswolf wäre schnell genug, sie abzuschütteln.
Nachdem sie einige Schritte gegangen war, ihre Begleiter jedoch noch immer nicht ausmachen konnte, setzte sie ihren Weg allein fort. Dabei dachte sie keine Sekunde darüber nach, dass es ihr eigentlich seltsam vorkommen müsste. Einzig die zunehmende Finsternis ließ sie wachsam werden. Wenige Augenblicke später konnte Arrow die Hand vor Augen nicht mehr erkennen und
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