Frühlingserwachen (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
betrachtete Arrow eine der kleinen Spinnen auf ihrem Finger. „Ich kann mich dem nicht anschließen. Sie hat mir sehr geholfen, obwohl ich im Grunde nicht weitergekommen bin. In ihrem Reich hält sich mein Vater nicht auf, und sogar in Walhall war er nicht zu finden.“
„Bist du etwa dort gewesen?“, fragte Harold überrascht.
Mit einem müden Lächeln auf den Lippen nickte Arrow. „Es war wunderschön dort. Und es lag etwas in der Luft, das ich kaum beschreiben kann. In meinem ganzen Leben habe ich mich nie derart aufgeräumt gefühlt. Einfach wundervoll.“
„Hast du dort jemanden getroffen?“
„Nur Odin“, log Arrow. Harolds skeptischer Gesichtsausdruck hatte ihr sofort verraten, worauf er hinaus wollte. Sie konnte sich nicht erklären, warum es so war, doch fürs Erste hielt sie es für klüger, ihm nichts von ihrer Begegnung mit Darren zu erzählen. „Aber es war wirklich faszinierend dort“, versuchte sie das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. „Für Musen ist es bestimmt der perfekte Ort.“
Harold schlug die Augen nieder. „Musen ist der Zutritt in Walhall untersagt. Wir hören die schönsten Geschichten darüber, doch wie es dort wohl aussehen mag, können wir nur den Gedanken und Träumereien unserer Künstler entnehmen.“
„Gibt es denn überhaupt keine Möglichkeit für euch, dort eingelassen zu werden?“
„Es soll mit Hilfe eines Himmelsschlüssels funktionieren, doch diese Möglichkeit wurde nie bewiesen. Himmelsschlüssel lassen sich ja nicht unbedingt an jeder Ecke finden. Es gibt eine Vielzahl von täuschend echt aussehenden Exemplaren. Bis auf die Tatsache, dass sie ihren Finder in den Wahnsinn treiben, bewirken sie jedoch rein gar nichts und sollen nur von den tatsächlichen Schlüsseln ablenken. Die Suche danach gestaltet sich schwieriger als die nach der Nadel im Heuhaufen. Es ist ein verdammter Teufelskreis. Je mehr Täuschungen man findet, desto stärker zerreißt es einen innerlich, und trotzdem treibt es einen noch härter dazu an, ein echtes Exemplar finden zu wollen. Ich habe lange nach einem Himmelsschlüssel gesucht und letzten Endes aufgegeben. Es hat mich in einen Zustand versetzt, der weitaus brutaler war, als es bei einem Befinden ohne Hoffnung der Fall ist.“
„Ich hatte einen solchen Schlüssel“, murmelte Arrow abwesend.
„Ich weiß“, entgegnete Harold mit ruhiger Stimme. „Und bis vor einem Augenblick habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben, dass du ihn nicht benötigen und mir überlassen würdest.“
„Aber wenn du so lange nach einem Himmelsschlüssel gesucht hast, hättest du ihn dir doch einfach nehmen können“, sagte Arrow stirnrunzelnd.
„Ich mag manchen Geschöpfen durch die Art meiner Nahrungsaufnahme wie ein Monster erscheinen, doch das ist kein Umstand, den ich mir selbst je erwählen durfte. Allerdings liegt es allein in meiner Macht, den Grad meiner Habgier selbst zu bestimmen, und eines habe ich schon immer gewusst – nie habe ich ein Gauner sein wollen.“
Arrow lächelte ihn an. Es kam einfach automatisch und war in keiner Weise aufgesetzt. Es war ein ehrliches und vor allem dankbares Lächeln. Die Reise durch die Unterwelt hatte endlich einen Sinn. Sie hatte einen völlig Fremden zu einem Freund werden lassen. Arrow war nicht allein und das wurde ihr jetzt erst richtig bewusst. Harold erkannte das. Plötzlich las er all diese Dinge in Arrows Gesicht. Zweifellos hatte eine Muse keine große Mühe, sich in die Gedanken Anderer einzuschleichen, doch in seinem gegenwärtigen Zustand war es Harold nicht ohne weiteres möglich. Nur eine einzige Tatsache gewährte ihm diesen kostbaren Einblick. Es war die Tatsache, dass Arrow sich endlich für ihn öffnete. Und ein bisschen erweckte es in ihm wieder das Gefühl, eine echte Muse zu sein. Jetzt hatte er eine Verbündete.
„Was hat William verraten?“, fragte Harold mit größter Vorsicht. Er wusste, dass Arrow ihm endlich Glauben schenkte, und dieses Vertrauen wollte er um nichts auf der Welt wieder zunichte machen.
„Er hat dich angesehen“, entgegnete sie und schlug die Augen nieder. Tränen stiegen in ihr hoch, denn sie wusste, was das bedeutete. „Ich hatte so sehr gehofft, dass du dich in ihm täuschst, dass du der Lügner bist. Er ist so wundervoll, und mittlerweile empfinde ich etwas für ihn, das ich noch nie in vergleichbarem Maße für irgendjemanden sonst empfunden habe. Die Gewissheit, dass er nicht ebenso für mich empfindet, zerreißt mein Herz in
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