Frühlingserwachen (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
so griff sie in ihrer Tasche nach der Flasche mit den Irrlichtern. Erschrocken beobachtete sie, wie sich das Glas in ihren Händen in feinen Sand verwandelte und durch ihre Finger glitt. Mit hypnotischer Anziehungskraft erhoben sich die kleinen Lichter und schwebten zwischen den Bäumen davon. Arrow wollte ihnen im Grunde gar nicht folgen, doch irgendetwas in ihrem Inneren drängte darauf, es doch zu tun. Und mit jedem Schritt hallten Neves Worte über diese Irrlichter in ihrem Kopf wider – „Wenn diese kleinen Biester je wieder freikommen werden, führen sie ihren Wärter in sein sicheres Verderben“.
Faszinierend magisch flogen die kleinen Teufelchen durch die Dunkelheit und verschwanden plötzlich von einem Moment auf den nächsten. An ihrer Stelle tauchte die schwache Silhouette einer Person auf. Wie angewurzelt blieb Arrow stehen und schaute hilflos dabei zu, wie sich die Gestalt raubtierartig auf sie zubewegte. Gerade noch erkannte sie, dass es William war, dessen ansonsten weiche Züge plötzlich ausgemergelt und hungrig erschienen. Sein schwarzes Haar war zerzaust, und auch seine Kleidung saß nicht mehr so perfekt, wie gerade eben für ein Bankett eingekleidet. Das Hemd war zerknittert und bis zur Taille aufgeknöpft. Seine ganze Erscheinung ließ ihn wie ausgewechselt wirken, doch das Schlimmste daran war, dass er dadurch weitaus anziehender wirkte, als er es ohnehin schon war. Arrow wollte ihn mehr als jemals zuvor.
Hastig umfasste er mit beiden Händen ihren Nacken und küsste sie, als würde sein Leben davon abhängen. Ohne sich dagegen wehren zu können, spürte sie, wie er ihren Körper gegen einen der Bäume presste. Ungeduldig wanderten seine Lippen über ihren Hals zu ihrem Schlüsselbein, während er mit zitternden Händen ihre Bluse aufknöpfte. Seine leidenschaftlichen Berührungen glühten wie Feuer in ihrem Bauch. Es fühlte sich wie eine Offenbarung an. Heiße und kalte Schauer liefen Arrow über den Rücken, und als sie ihre Augen schloss, wurde ihr bewusst, dass es keineswegs so war, dass sie sich nicht dagegen wehren konnte – sie wollte es einfach nicht. Nach all der Mühe und der Aufregung verstand sie plötzlich gar nicht mehr, warum sie sich dem so lange widersetzt hatte. Plötzlich wurde ihr klar, dass sie sich vollkommen grundlos dieser unendlichen Qual der Zurückhaltung ausgesetzt hatte. Einerseits war dieser Moment das Warten jeder einzelnen Sekunde wert gewesen, doch auf der anderen Seite fühlte es sich inzwischen so unerträglich an, dass sie unter Williams Leidenschaft zu verbrennen drohte. Machtlos sank sie zu Boden und ergab sich ihrem Sehnen...
Als Arrow ein starkes Rütteln an ihrem Arm spürte, schreckte sie hoch. Schweißgebadet und atemlos versuchte sie, sich zu orientieren.
„Es war ein Traum“, sagte Harold, der ihr prüfend in die Augen sah. „Er hat dich nicht angefasst.“
„Woher weißt du ...?“
„Ich habe es gespürt. Er hat dir diesen Traum geschickt, um dich damit in die Knie zu zwingen. Es ist eine typische Vorgehensweise. Langsam wird es kritisch. Derlei Träume läuten die letzte Phase des Jagdrituals ein. Von diesem Moment an kann ich nicht mehr viel für dich tun. Es liegt nun allein bei dir, ob und wie lange du der Versuchung noch widerstehen kannst. Sobald du ihn küsst, hast du verloren.“
„Aber im Traum hat er mich geküsst. Wie soll ich mich dagegen wehren können? Er könnte es jederzeit ausnutzen – sogar wenn ich schlafe!“, entgegnete Arrow aufgewühlt. Innerlich war sie vollkommen durcheinander. Einerseits hatte sich der Traum so wunderbar angefühlt. Sein Kuss war wie die Erlösung aller Qualen gewesen. Auf der anderen Seite war ihr direkt nach dem Aufwachen wieder bewusst geworden, warum sie es nicht tun durfte. Warum nur hatte sie es im Traum vergessen?
„Eine Muse küsst ihre Beute nicht“, erwiderte Harold mit beinahe angewiderter Miene. „Sie umgarnt ihr Opfer und verlangt ihm alles ab, bis es das Gefühl hat, ohne diesen Kuss nicht mehr Leben zu können. Dabei spürt es die Gefahr, die von dem Jäger ausgeht. Und das Wissen darum, dass es falsch ist, sich mit dieser Muse einzulassen, lässt die leidenschaftliche Zurückhaltung mehr und mehr wie Feuer brennen. Je mehr man sich dagegen sträubt, desto größer wird die Qual. Irgendwann erweckt es bei dem Opfer den Anschein, als würde es schon längst sterben, und allein dieser Kuss könne fortan die süße Erlösung aller Schmerzen bewirken. Zwischen dieser
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