Frühlingserwachen (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
senkte sie ihren Blick. „Sagt mir bitte, dass das nicht wahr ist“, flehte sie. „Bitte erklärt mir, dass euch ein Fehler unterlaufen ist und es Hoffnung gibt.“
Anne zuckte nicht mit der Wimper und inzwischen standen auch Neve die Tränen in den Augen. Die verkrampfte Haltung ihrer Mutter sehr wohl spürend, hatte Juna bitterlich zu weinen begonnen.
Hilfe suchend wandte Arrow sich an ihren Bruder, doch auch er trug keinen Funken Hoffnung in seinen Augen.
„Nein!“, schrie Arrow. „Bitte sagt mir, dass das alles nicht wahr ist! Bitte – ich flehe euch an!“
Während Arrow in den Armen des Elfen zusammenbrach, wandte Harold dem Turmzimmer niedergeschlagen den Rücken zu. Niemand hatte bemerkt, dass er dort gestanden hatte. Doch egal, wo er auch die Abgeschiedenheit zu finden versuchte – im ganzen Schloss hallten die schmerzlichen Klagerufe von Arrow wider, und dieses Mal befürchteten alle, dass sie sich aus diesem Loch nicht mehr würde befreien können.
Da die Zwerge nach Anbruch der Dunkelheit das Tor reparierten, gab es zum ersten Mal seit Zwergengedenken keine allnächtliche Feier. Doch selbst, wenn sie keine Aufgabe gehabt hätten, wären sie in dieser Nacht ruhig geblieben.
Die Pflanzen im Schloss hatten sich in ihren Winterschlaf zurückgezogen, ebenso die Sylphen.
Sally hatte einen köstlichen Hackbraten zubereitet, welcher jedoch weitestgehend unberührt blieb.
Die Zwerge bedankten sich für das gute Essen und zogen sich dann zum Schlafen in den Untergrund zurück. Die Stille in jener Nacht war unerträglicher als das Geheul der Wilden Jagd.
Arrow hatte sich allein im Turmzimmer eingeschlossen und lehnte jede Art von Speisen ab. Als Adam die Küche zum wiederholten Male mit einem verschmähten Teller Hackbraten betrat, konnte Sally nicht länger an sich halten.
„Ich wünschte, sie würde wieder anfangen zu weinen“, sagte die Köchin verzweifelt, während sie das unberührte Essen in den Bräter zurücktat. „Dieses Schweigen hält doch kein Mensch aus!“
„Sally!“, rief Anne sie zur Vernunft. „Diese Art von Gefühlsausbrüchen ist jetzt nicht hilfreich.“
„Ach nein?“, entgegnete Sally vorwurfsvoll. „Hast du vielleicht einen anderen Plan, der uns alle nicht in den Wahnsinn treibt?“
„Das reicht!“, donnerte Harold. Und über die Verwunderung seiner strengen Worte verstummte Sally schließlich. „Bevor wir über das weitere Vorgehen bezüglich der fernen Zukunft entscheiden, sollten wir überlegen, wie es in den nächsten Tagen weitergeht“, wandte Harold sich an Anne.
Die alte Frau nickte. „Heute Nacht werde ich sie mit Schlafpulver beruhigen. Vielleicht lässt sie uns morgen, wenn sie ausgeruht ist, wieder an sich heran.“
Während alle in ihr Schlafgemach aufbrachen, folgte Harold Anne zum Turmzimmer hinauf, und als sie die letzte Stufe der Treppen erreichte, hatte er sie eingeholt.
„Hast du schon einmal darüber nachgedacht, dass dies seine letzte Auferstehung gewesen sein könnte und dies ein für ihn bestimmtes Ende ist?“, fragte er Anne beunruhigt.
„Das ist es nicht“, gab sie zurück.
„Aber wie kannst du dir da so sicher sein?“, fragte Harold stirnrunzelnd.
„Weil ich es weiß“, antwortete sie mit einer selbstverständlichen Resignation. „Hier waren andere Mächte im Spiel. Seine Zeit war noch nicht gekommen.“
Erschrocken musterte Harold sie. „Denkst du etwa, dass es Mord war?“
„Alles andere würde keinen Sinn ergeben“, entgegnete sie knapp und ohne sich weiter aufhalten zu lassen setzte Anne ihren Weg zur Tür des Turmzimmers fort. Mit besorgter Miene griff sie in ihre Taschen und pustete den funkelnd hellen Staub, welchen sie aus ihnen entnommen hatte, durch das Schlüsselloch. Nach einem Augenblick des Lauschens machte sie kehrt und verschwand in ihr Schlafgemach.
In jener Nacht wartete Adam vergeblich auf Harold, denn dieser hatte sein Schlafquartier als einziger nicht aufgesucht.
Mit roten Augen saß Arrow in ihrem Sessel und starrte bestürzt einen kleinen Topf blühender Schneeglöckchen auf dem Tisch an. Daneben hatte sie ein Blatt Papier gefunden, auf dem geschrieben stand:
Obwohl ich lediglich über Sommer und Winter gebiete, fühle ich doch immer den Frühling in mir, wenn ich an sie denke.
Wie kann das sein? So lebendig ...
Und all das rückt in weite Ferne, wenn sie nicht bei mir ist.
Komm bald zurück, mein Herz, und lass mich unter den Strahlen deiner Sonne zu neuem Leben erwachen.
In
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